Das vorliegende Gerichtsurteil schliesst einen Rechtsstreit zwischen der Firma Stahl Gerlafingen und ihrem Stromlieferanten ab, der aufgrund einer Beschwerde des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) ans Bundesgericht weitergezogen wurde. Das Urteil ist jedoch auch für zahlreiche andere Unternehmen von Bedeutung, bei denen Unsicherheit bezüglich ihres Anspruchs auf Verbleib in der Grundversorgung besteht.
Regelung von Marktzutritt und Grundversorgung im Stromversorgungsgesetz Das Stromversorgungsgesetz gesteht Endverbrauchern mit einem jährlichen Stromverbrauch von über 100 MWh die Freiheit zu, ihren Stromlieferanten zu wechseln. Sie treten damit in den freien Strommarkt ein, wo sie ihre Strompreise mit dem Lieferanten selbst aushandeln und vertraglich festlegen können. Konsumenten mit geringerem Stromverbrauch und solche, die von ihrem Recht auf Marktzutritt keinen Gebrauch machen, verbleiben in der Grundversorgung. Dort haben sie gemäss Stromversorgungsgesetz und –Verordnung Anrecht auf eine gesicherte Stromversorgung zu «angemessenen Tarifen», die sich an den Kosten für die Stromerzeugung zu orientieren haben.
Wer einmal von seiner Wahlfreiheit Gebrauch gemacht hat, befindet sich im freien Strommarkt und kann nicht mehr zurück in die Grundversorgung («einmal frei, immer frei»). Da sich – nicht zuletzt aufgrund der geltenden Rechtsgrundlagen – gegenwärtig auf dem freien Markt nur in Ausnahmefällen bessere Strompreise aushandeln lassen als in der Grundversorgung, hat sich bislang nur ein sehr kleiner Anteil der marktberechtigten Endkunden für den freien Strommarkt entschieden.
Die Wahlfreiheit für grosse Endverbraucher besteht nur während einer Übergangsperiode bis zur vollständigen Öffnung des Strommarkts. Mit diesem zweiten Marktöffnungsschritt, der nicht vor dem Jahr 2014 vorgesehen ist und dem fakultativen Referendum unterliegt, befinden sich die grossen Endverbraucher dann definitiv im freien Markt.
Streitpunkt Stromliefervereinbarungen nach altem Recht
Der aktuelle Gerichtsfall sollte in erster Linie die Frage klären, wie Stromliefervereinbarungen einzustufen sind, die nach altem Recht, also vor Beginn der Strommarktöffnung, abgeschlossen wurden. Haben Strombezüger mit solchen Vereinbarungen bereits von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht oder können sie immer noch Anspruch auf Grundversorgung «zu angemessenen Tarifen» erheben? Das UVEK, das den Fall ans Bundesgericht weitergezogen hatte, machte geltend, als Folge solcher Liefervereinbarungen habe das betroffene Unternehmen bereits Strom vom freien Markt bezogen und könne demnach nicht mehr in die Grundversorgung zurückwechseln. Die Firma Stahl Gerlafingen hielt dem entgegen, sie habe seit Inkrafttreten des StromVG nie von ihrer Wahlfreiheit Gebrauch gemacht und sei darum als Endverbraucherin mit Grundversorgung einzustufen.
Das Bundesgericht stützte die Meinung von Stahl Gerlafingen und wies die Beschwerde des UVEK ab. Damit wurde für marktberechtigte Stromkunden eine wichtige Klärung erzielt.
Eckpunkte des Bundesgerichtsurteils
Von Bedeutung sind insbesondere die folgenden Erwägungen des Bundesgerichts:
- Wer einmal in den Markt eingetreten ist, kann nicht mehr in die Grundversorgung zurückwechseln. Dieser Grundsatz des Stromversorgungsgesetzes bleibt unbestritten.
- Mit der schrittweisen Öffnung des Strommarkts ist den marktberechtigten Stromkonsumenten die Möglichkeit einzuräumen, dass sie von der Liberalisierung ebenfalls schrittweise Gebrauch machen. M.a.W. die Wahlfreiheit für grosse Strombezüger wird in der Übergangsphase bis zur vollständigen Marktöffnung gestützt.
- Der Abschluss von individuellen Stromliefervereinbarungen vor Inkrafttreten des Stromversorgungsgesetzes führt nicht automatisch dazu, dass der Strombezüger in den freien Markt eintritt. Massgeblich sind demnach nur Vereinbarungen, die nach Inkrafttreten des Gesetzes getroffen wurden.
- Auch das Einholen von Vertragsofferten führt nicht automatisch dazu, dass ein Unternehmen in den freien Markt übertritt. Erst mit dem Abschluss eines neuen Liefervertrags hat es von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht.
Das Bundesgerichtsurteil vom 6. Juli 2011 ist öffentlich einsehbar und kann <link jumpcgi.bger.ch/cgi-bin/JumpCGI _blank external-link-new-window>hier</link> frei heruntergeladen werden.