Eine Nachricht aus St. Gallen hat unlängst für Aufregung gesorgt. In einigen Lebensmitteln wurden Grenzwertüberschreitungen von PFAS festgestellt. Schlagartig erhöhte sich damit das öffentliche Interesse rund um die manchmal auch als «Ewigkeitschemikalien» bezeichneten «per- oder polyfluorierten Alkylverbindungen», kurz PFAS. Das ist verständlich: Wo Mensch und Umwelt potenziell tangiert sind, gilt es, genau hinzusehen und, wo sinnvoll, entschieden zu handeln.
PFAS sind äusserst stabil und bauen sich in der Umwelt nur sehr langsam ab. PFAS sind aber auch ein Segen für die Gesellschaft. Denn PFAS finden sich in unterschiedlichsten Anwendungen der gewerblichen und industriellen Produktion. Sie werden für die Herstellung von Chips in Laptops und Handys sowie für die Stromerzeugung in Solarzellen oder Windanlagen benötigt. PFAS machen Gebäudehüllen dicht und sind in der Diagnostik sowie der naturwissenschaftlichen Forschung und Entwicklung unersetzlich. Ohne PFAS sind Motoren weniger effizient, was schlecht ist für die Umwelt. Ohne PFAS halten Dichtungen weniger lange, und Pumpen in Präzisionsmaschinen gehen früher zu Bruch, was ebenfalls nicht im Sinne der Nachhaltigkeit ist. Zudem: Sehr viele Medikamente für Mensch und Tier enthalten Wirkstoffe, die unter die Definition von PFAS fallen.
Doch was sind PFAS genau? Die Abkürzung suggeriert, dass es sich hierbei um eine chemisch einheitliche Stoffgruppe handelt. Das ist jedoch nicht der Fall – weshalb es falsch ist, alle PFAS über einen Kamm zu scheren. Laut einem OECD-Report aus dem Jahr 2018 sind 4730 PFAS bekannt; verwendet man die Definition der EU, sind es gegen 10 000 Substanzen. 256 dieser Stoffe werden gemäss einer Studie aus dem Jahr 2021 in der EU kommerziell im Umfang von über einer Tonne pro Jahr genutzt, etwa 1400 PFAS sind überhaupt auf dem Markt. Fakt ist zudem – und das wird häufig vergessen –, dass bestimmte PFAS schon seit über zehn Jahren als sehr kritisch eingestuft werden und ihr Einsatz zu Recht stark eingeschränkt oder gar verboten ist.
Die entscheidende Frage rund um PFAS lautet: Wie und wo setzen wir diese hoch stabilen MolekĂĽle ein, um Mensch und Umwelt optimalen Nutzen zu bieten und gleichzeitig damit einhergehende Probleme zu minimieren?
Oder anders gefragt: Was ist ein zielführendes Vorgehen bei der Regulierung von PFAS? Dazu drei Gedanken. Erstens: Statt PFAS-Sippenhaftung sollten wir die einzelnen Fälle betrachten und auf die problematischen fokussieren. Zweitens sollten wir entlang von Risikoüberlegungen priorisieren. Klar ist: Relevant sind jene PFAS, die in die Umwelt gelangen. Und drittens müssen wir berücksichtigen, ob die vorhandenen PFAS-freien Alternativen besser oder schlechter sind für Mensch und Umwelt als der Ist-Zustand. Niemand wünscht sich eine Verschlimmbesserung der Situation – auch nicht durch gutgemeinte Regulierung.
Zuerst sind jedoch einige offene Fragen zu klären. Zum Beispiel wissen wir nur sehr wenig über die Ausbreitungspfade von PFAS. Zwar sind bestimmte PFAS an vielen Orten zu finden, aber es ist weitgehend unklar, welche Mengen PFAS auf welchen Wegen in die Umwelt gelangt sind oder heute noch in die Umwelt gelangen. War es in St. Gallen der Klärschlamm, der seit achtzehn Jahren gar nicht mehr auf Felder ausgebracht werden darf? Oder sind es wasserabweisende Outdoor-Jacken, die in den Kehrichtverbrennungsanlagen landen? Zu wichtigen Punkten fehlen gesicherte Antworten und belastbare Informationen.
Ein grossflächiges, undifferenziertes Verbot von PFAS würde der Umwelt sowie der Wirtschaft mehr Schaden zufügen als Nutzen bringen. Der Bund ist deshalb gefordert, die Fakten umfassend und möglichst präzis zu evaluieren. Industrie und Gewerbe verstehen sich als Partner, die zusammen mit der Wissenschaft und den Behörden der PFAS-Sache auf den Grund gehen. Die Schweiz kann sich an Belgien ein Beispiel dafür nehmen, wie der Dialog zwischen Behörden und Industrie zielführend gestaltet werden kann. Dänemark hat derweil vorgemacht, wie sich PFAS-Daten erheben lassen.
Eine solche Untersuchung würde auch der Schweiz helfen, der PFAS-Problematik in all ihren Facetten auf den Grund zu gehen und jene Datenbasis zu schaffen, ohne die eine intelligente Regulierung nicht gelingt. Die Grundlagenarbeit für eine risikobasierte Regulierung, die der Bundesrat aufgrund eines Vorstosses im Parlament in den nächsten Monaten erarbeiten muss, ist deshalb enorm wichtig und erfordert höchste Sorgfalt. Dabei ist es zentral, dass das in den Industrie- und Gewerbeunternehmen fachlich relevante Wissen mit einfliesst. Nur so kann die Bundesverwaltung Massnahmen zur Reduktion der tatsächlichen Risiken ergreifen und zugleich sichere und unersetzliche technische Verwendungen in Industrie und Gewerbe erhalten.
Gastkommentar von Stefan Brupbacher, Direktor Swissmem,
Urs Furrer, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes,
Stephan Mumenthaler, Direktor Scienceindustries,
erschienen am 1. Dezember 2024 in der NZZ am Sonntag
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