Im November 2020 wurde die Konzernverantwortungsinitiative (KVI) vom Volk abgelehnt, womit der indirekte Gegenvorschlag in Kraft trat. Er sieht eine Pflicht zur Berichterstattung über die unternehmerische Nachhaltigkeit sowie spezifische Sorgfaltspflichten in den Bereichen Konfliktmineralien und Kinderarbeit vor. Gegenvorschlag und Verordnungsentwurf des Bundesrates entsprechen weitgehend der derzeit gültigen Regulierung in der EU. Im Bereich der Kinderarbeit gehen sie aber einen wesentlichen Schritt weiter.
MEM-Industrie kennt keine Kinderarbeit
Die Firmen der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM-Industrie) beschäftigen im Ausland rund 550 000 Mitarbeitende. Vielerorts unterstützen sie lokale Schulen und fördern die Mitarbeitenden mit Berufsbildungsprogrammen. Dank gutbezahlten Arbeitsplätzen können deren Familien die Kinder zur Schule schicken. Die MEM-Industrie kennt keine Kinderarbeit.
Mit diesem Leistungsausweis muss die Forderung erlaubt sein, dass die neuen Sorgfaltspflichten realistisch umgesetzt werden. Dabei ist den Unterschieden in den Lieferketten der verschiedenen Branchen Rechnung zu tragen. Die Produkte der Industrie bestehen meist aus mehreren hundert Teilen und Komponenten.
Die Lieferketten der einzelnen Komponenten umfassen wiederum Dutzende global tätige Sublieferanten. Auch ohne diese einzurechnen, haben grosse Industriefirmen oft bis zu 50 000 direkte Lieferanten. Die MEM-Firmen müssen somit hochkomplexe, globale Lieferketten organisieren. Gleichzeitig müssen sie die Qualität und die Verfügbarkeit der Produkte garantieren.
Die Schweizer MEM-Industrie ist durch KMU geprägt. Die Regulierung betrifft direkt oder indirekt auch Firmen mit weniger als 250 Mitarbeitenden. Von diesen zu verlangen, dass sie künftig weltweit sämtliche Risiken für Kinderarbeit bei mehreren tausend Lieferanten sowie Sublieferanten identifizieren, zeugt von mangelnder Kenntnis der industriellen Lieferketten. Es zeigt auch fehlendes Verständnis für KMU. Drei Verbesserungen sind deshalb zentral, um die Verordnung KMU-verträglich zu machen:
Mehrfachprüfungen verhindern
Erstens müssen die Firmen schrittweise vorgehen können. Unternehmen sollen zunächst im eigenen Bereich und bei den direkten Lieferanten die Abklärungen vornehmen. Bei Sublieferanten sollen eine aktive Kontrolle und ein Eingreifen dann erfolgen, wenn es Hinweise auf Verstösse gibt. Ein solcher Ansatz fokussiert auf wirksame Massnahmen am richtigen Ort.
Zweitens braucht es die «Made in»-Bestimmung. Sie regelt, dass Schweizer Firmen die Güter aus gemäss dem Unicef-Länderindex sicheren Herkunftsländern nicht mehr separat prüfen müssen. Das schafft den Anreiz, ein internationales Kooperationssystem aufzubauen, welches Kinderarbeit ausschliesst.
Drittens: Güter, die aus einem Land mit mindestens äquivalenten Vorschriften importiert werden, sollen von der Prüfpflicht ausgenommen werden. Sonst kommt es zu Mehrfachprüfungen, welche einzig den Prüforganisationen dienen.
Schliesslich darf nicht vergessen werden, dass bei den Menschenrechten primär der Staat für die Rechtsdurchsetzung verantwortlich ist. Diese erfolgt in Schwellen- und Entwicklungsländern leider oft nur lückenhaft. Schweizer Industriefirmen bieten vor Ort meist bessere Arbeitsbedingungen als lokale Firmen. Durch Arbeitsplätze, Ausbildung und Technologietransfer tragen sie zur Armutsbekämpfung in diesen Staaten bei.
Diesen Beitrag sollte die Politik mehr honorieren und fördern. Notwendig sind daher praxistaugliche Gesetze, damit unsere KMU zum Wohle der Gesellschaft arbeiten können, statt teure Berichte schreiben zu müssen.
Der Artikel wurde zuerst als Gastkommentar in der NZZ vom 30. August 2021 publiziert.