Dipak Mane, Du hast in Indien Ingenieurwissenschaften studiert und bist vor 30 Jahren zur Bühler Group gestossen, als diese ihr Indien-Engagement lancierte. Kanntest Du diesen Schweizer Namen, Bühler?
Mane: Nein, ich wusste nichts von Bühler. Dann fragte ich Leute, die etwas über Bühler und die Schweiz wussten und die bestätigten mir: Da steckt wirklich Technologie-Know-how drin.
30 Prozent der Ernte in Indien soll verloren gehen, bevor sie auf den Teller kommt. In Indien produziert Bühler Maschinen für die Lebensmittelverarbeitung. Könnt ihr diesen Verlust verringern mit Eurer Technologie?
Mane: Ja, zu einem gewissen Teil. Aber auch wir können den Verlust nicht ganz verhindern.
Das Freihandelsabkommen Schweiz-Indien senkt namentlich die Zölle. Es erleichtert auch den Wissensaustausch auf universitärer Ebene. Es erleichtert den Umgang mit Behörden. Die Bühler Group ist aber bereits seit langem in Indien präsent - braucht ihr dieses Freihandelsabkommen überhaupt?
Stefan Scheiber: Die Zusammenarbeit mit Forschungsanstalten und Universitäten ist gerade in Indien ein hervorstechendes Thema: Wir sind im Wettbewerb um gute Arbeitskräfte. Und der stetige Austausch ist sehr wichtig. Das sind wichtige Themen, die mit dem Freihandelsabkommen unterstützt werden.
Also geht es nicht nur um Zölle oder kommerzielle Vorteile, sondern schlicht um Zusammenarbeit?
Scheiber: Absolut. Indien war und ist für viele Schweizer und andere Europäer ein wenig ein Mysterium, ein riesiges Land mit riesigem Potenzial. Aber wenn es darum geht, Geschäfte zu machen, steht man vor bürokratischen Hürden, es gibt Korruption, let's face it!
Ein Freihandelsabkommen gibt eine Sicherheit, dass man sich auf Partner verlassen kann – das ist ein sehr wichtiger Aspekt.
Bühler bringt Technologie und Know-how nach Indien, aber es gibt Stimmen in der Schweiz, die dieses Abkommen sehr kritisch sehen, Stichworte sind Menschenrechte oder Nachhaltigkeit. Indien tue da zu wenig. Einverstanden?
Mane: Man sollte einen Blick auf die Vergangenheit und die Entwicklung werfen. Indien kommt erst jetzt auf die Weltbühne. Und jetzt werden diese Themen auch angegangen. Seriöse Unternehmen können internationale Standards weitgehend befolgen. Sowohl in Bezug auf Menschenrechte als auch in Bezug auf Umwelt und Nachhaltigkeit - ohne an Wettbewerbsfähigkeit einzubüssen. Aber es ist ein langer Weg, der noch gegangen werden muss.
Wird Schweizer Politik über dieses Freihandelsabkommen einen Einfluss nehmen auf die indische Politik? Wird sich deswegen etwas ändern in Indien?
Mane: Ich denke nicht, dass das Abkommen die grossen Herausforderungen Indiens umfassend adressieren kann, aber im Kleinen kann es das. Es wird gut sein für beide Länder.
Die Kritik von Links-Grün an diesem Freihandelsabkommen betrifft Menschrechtslage und Umweltschutz. Jetzt könntest Du als Unternehmer sagen: Das ist für uns nicht so wichtig, Hauptsache, das Geschäft läuft gut. Interessieren Euch die Themen ernsthaft?
Scheiber: Eine wichtige Frage, denn es ist sehr typisch für die linke Seite, diese Themen in Bezug auf die Industrie aufzuwerfen. Es zeigt: Die Linke versteht nicht wirklich, was wirtschaftlich verantwortungsvolles Handeln ist.
Ein harter Vorwurf.
Scheiber: Wir sind eine Familiengesellschaft. Seit 30 Jahren entwickeln wir das Geschäft in Indien. Es wäre uns nie in den Sinn gekommen, irgendwelche Double Standards aufzubauen. Sei es bei Qualität, Nachhaltigkeit oder Sicherheit. Wir investieren seit 30 Jahren in Leute, die wir in Indien angestellt haben, die mit uns gewachsen sind, die unsere Standards mitentwickelt haben und diese auch in ihre Familien bringen. Oder in ihr Netz der Zulieferer, oder in die Kundenzusammenarbeit. Unsere Mitarbeiter und wir haben so einen gigantischen Beitrag geleistet für soziale Verantwortung, für nachhaltige Verantwortung, für Sicherheit und so weiter und so fort.
Ich kann dazu auch eine Geschichte zu Corona erzählen: Die Pandemie war in Indien ein ganz grosses Problem, auch, weil es viele Wanderarbeiter gibt.
Viele Inder leben tatsächlich fast immer draussen
Scheiber: Absolut. Die Infektionsrate in Indien war sehr hoch. Unser indischer Chef hat zuerst alle Mitarbeiter laufend getestet, gab ihnen dadurch Sicherheit. Er hat dann lokale Impfungen organisiert, Kunden eingeladen zur Impfung, Firmenmitglieder eingeladen, Lieferanten eingeladen. Es gab ein Impffestival, muss man sich vorstellen! Während gleichzeitig in der Stadt Bangalore Feuer brannten, wo die Toten kremiert worden sind.
Also man hatte Glück, wenn man im Umfeld von Bühler unterwegs war?
Scheiber: Absolut, soviel zur unternehmerischen und sozialen Verantwortung! Und da will die linke Seite einen Gegensatz konstruieren zwischen unserem Wirtschaften in Indien und in der Schweiz. Weshalb sollten wir in Indien andere Standards haben als in der Schweiz? Das würde uns nie in den Sinn kommen.
Das ist vielleicht eine komische Frage, dennoch: Würde das Freihandelsabkommen Indien mehr schweizerisch machen oder umgekehrt?
Mane: So etwas wird nicht passieren. Auch wenn man den ganzen Umfang des Handels Schweiz-Indien anschaut, wäre er für solche Auswirkungen doch zu klein. Aber das Abkommen wird die beiden Länder definitiv näher zusammenrücken lassen, und ich bin sicher, beide können voneinander profitieren.
Scheiber: Da möchte ich gerne auch was sagen, denn das ist eine sehr gute Frage. Dipak und ich sind seit 30 Jahren Freunde und zusammen in dieser Firma. Was wir am meisten gegenseitig schätzen, ist, dass wir sehr unterschiedlich sind! Ich würde niemals versuchen, Dipak zu einem Schweizer zu machen und Dipak würde aus mir kein Inder machen wollen. Das wertvolle ist doch, dass wir unterschiedlich sind, wir geniessen das! Es bereichert uns und ist wertvoll für unseren Lebensweg.
OK, dann frage ich: Wer wird mehr profitieren, Indien oder die Schweiz?
Mane: Ohne die Details des Abkommens zu kennen, aber es wird beide Seiten bereichern und beiden helfen. Kleinere Unternehmen werden mehr profitieren können als die grossen Organisationen wie Bühler, ABB oder Nestlé. Es wird ihnen vieles erleichtern und Transfers ermöglichen. Darauf freue ich mich besonders.
Noch eine letzte Frage, weil Du «Kleinere» ansprichst: Die Bühler Group ist ja wirklich extrem engagiert in der Ausbildung – auch in Indien?
Mane: Bühler hat in seiner 165-jährigen Geschichte immer daran geglaubt, dass diejenigen, die lehren, auch die Branche anführen. In Indien ist eine ganze Bühler Academy entstanden, wo wir auch das Duale Bildungssystem aus der Schweiz anwenden, übrigens zertifiziert von Swissmem. Wir haben laufend zwischen 150 und 200 Lernende in den indischen Betrieben. Ausbildung ist eine DNA von Bühler, die lebt auch in Indien.
Das Interview führte Michael Perricone
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