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«Nachhaltigkeitsbestrebungen sind ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess»

Nachhaltige Unternehmensführung ist heute gefragter, denn je. Doch was heisst nachhaltig? In vielen Bereichen gibt es Zielkonflikte und längst nicht alle Massnahmen sind gleich wirksam. Christine Roth berät seit 15 Jahren Unternehmen in Nachhaltigkeitsfragen. Im Interview zeigt sie auf, wo die grössten Hebel liegen, was den Unternehmen zu schaffen macht und wie Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam zu einem nachhaltigen Unternehmen beitragen können.

Alle reden davon, dass Unternehmen nachhaltiger werden müssen. Was verstehen Sie darunter?

Christine Roth: Ein nachhaltiges Unternehmen erzielt neben dem ökonomischen Erfolg einen Mehrwert für Umwelt und Gesellschaft. Gleichzeitig minimiert es die negativen Auswirkungen in seinem Wirkungsbereich. Das Ziel ist, dass Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft in einem Gleichgewicht sind. Das tönt simpel, ist aber oft anspruchsvoll. Es gibt zahlreiche Zielkonflikte: Energieeffiziente Kabel benötigen mehr Material, Zukunftstechnologien können langlebige Chemikalien enthalten, und digitale Lösungen erhöhen den Strombedarf. Eine Gesamtsicht ist deshalb sinnvoll, um zu beurteilen, was für die Nachhaltigkeit wirklich relevant ist.

Auf die Industrie bezogen: Wo sehen Sie die grössten Stellschrauben?

In Bezug auf Nachhaltigkeit haben industrielle Unternehmen zwei grosse Hebel:

Die eigenen Produkte als Lösungen. Sie können in der Nutzungsphase zur Nachhaltigkeit beitragen. Dafür sind Grundsätze des Ecodesigns und der Energieeffizienz in der Produktgestaltung einzubeziehen. Bei energieverbrauchenden Produkten, wie denjenigen aus der Tech-Industrie, steht die Energieeffizienz stark im Vordergrund. In der meist sehr langen Nutzungsphase einer Maschine skaliert diese massiv.

Ausserdem können die eigenen Prozesse nachhaltiger ausgestaltet werden. Dazu gehören auch die Lieferketten. Letztere sind in verschiedenen Branchen für den grössten Teil der Umweltauswirkungen der Produktion verantwortlich. 80-90% der Treibhausgasemissionen vom Rohstoffabbau bis zum fertigen Tech-Produkt erfolgen in den Lieferketten, oft beim Rohstoffabbau selber und der Verarbeitung des Rohstoffs. Dies kann mit einem Einkauf anhand nachhaltiger Kriterien angegangen werden.

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Abgesehen von optimierten Produktionsprozessen und nachhaltigeren Produkten: Was kann ein Unternehmen tun, um an seinem Standort Emissionen und Ressourcen einzusparen?

Dass die Umweltwirkungen in den Lieferketten ein so grosser Anteil ausmachen, bedeutet natürlich nicht, dass im eigenen Unternehmen nichts getan werden soll. Abfalltrennung, papierloses Büro oder Verzicht auf Plastikprodukte sind gängige Massnahmen in vielen Betrieben. In der Industrie wird aktuell vermehrt auf Photovoltaik zur Eigenproduktion, auf die Elektrifizierung der Flotten oder auf unbedenklichere Chemikalien gesetzt.

Betrifft das Thema das ganze Unternehmen?

Ja, auch Arbeitnehmende können in ihrem Tätigkeitsfeld und anhand ihres spezifischen Knowhows reflektieren, welche Auswirkungen ihre Tätigkeiten haben. Kann etwas allenfalls so ausgestaltet werden, dass weniger Material und Energie benötigt wird? Damit werden auch Kosten eingespart. Welche Kriterien werden beim Ersatz einer Produktionsmaschine oder im Einkauf angewandt? Kann auch die Ökologie berücksichtigt werden? Oder kann die Abfalltrennung verbessert werden? Kann ein Produkt modulartig gestaltet werden, damit Module zurückgewonnen und wiederverwertet werden können? Selbstverständlich wird vieles davon in der einen oder anderen Form bereits umgesetzt.

Sie beschäftigen sich seit fast 15 Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Industrie. Was hat sich verändert?

Tatsächlich hat sich vieles verändert. Zahlreiche Aspekte sind auf die inzwischen breite Nachhaltigkeitsagenda gekommen und wurden effektiv verbessert. Die Industrie setzt sich mit Themen auseinander, von denen vor 15 Jahren kaum jemand gesprochen hat. Momentan sind aber die Herausforderungen immens. Die Auflagen bezüglich Nachhaltigkeitsreporting entlang den Lieferketten überfordern viele kleinere und auch mittlere Unternehmen. Der Hintergrund sind aktuell die Schweizer und vor allem die deutsche Regulierung. Wir haben immer davor gewarnt, dass Auflagen an grosse Unternehmen nicht nur diese betreffen werden, sondern durch die Lieferketten auch kleine. Das bestätigt sich nun, und wir müssen schauen, dass kleinere nicht abgehängt werden. Schlussendlich steht die Wettbewerbsfähigkeit aller Unternehmen in den industriellen Wertschöpfungsketten auf dem Spiel, denn die kleinen sind als Zulieferer auch für die grossen relevant.

Wo sehen Sie zukünftig die grössten Herausforderungen, aber auch Chancen für die Unternehmen?

Die zukünftigen Herausforderungen bezüglich Nachhaltigkeit dürften vielfältig sein: Die vorher erwähnten Auflagen zum Nachhaltigkeitsreporting sind erst am Anfang. Hier wird noch einiges auf die Wirtschaft zukommen, da nicht nur grössere Unternehmen, sondern auch Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden direkt betroffen sein werden. Auch das Chemikalienrecht stellt immer höhere Anforderungen.  Dazu kommen Herausforderungen aus anderen Bereichen, wie Fachkräftemangel und Unsicherheiten in den globalen Handelsströmen. Belastend für produzierende Unternehmen ist auch die zunehmende Unsicherheit bezüglich einer verlässlichen Energieversorgung mit Strom und Gas.

Daneben gibt es aber Chancen: Wer sich den Themen überzeugend annimmt, kann Kunden mit entsprechenden Bedürfnissen bedienen. Wer die Elemente für die Nachhaltigkeitsberichte kennt, kann die Informationen leichter zusammentragen und übermitteln. Wer Stoffe in Prozessen vermeiden kann, die im regulatorischen Fokus sind, ist einen Schritt voraus. Technisch ist letzteres jedoch nicht immer möglich, und zuverlässige Nachhaltigkeitsinformationen von Lieferanten sind ebenfalls nicht immer verfügbar. Konkret bedeutet dies, dass die Nachhaltigkeitsbestrebungen als kontinuierlicher Verbesserungsprozess angesehen werden sollten, der in die Unternehmensprozesse aufgenommen wird.

Das Interview ist im Zusammenhang mit dem Projekt «Arbeit der Zukunft» entstanden. Weitere Informationen unter www.arbeitderzukunft.ch

Was kommt auf Schweizer Unternehmen zu?

  • Nachhaltigkeitsreporting
    Die Schweizer, deutschen und europäischen Anforderungen an grössere Unternehmen verlangen Informationen und Sorgfaltsprozesse zu verschiedenen Nachhaltigkeitsaspekten. Die Grösseren sind auf Informationen ihrer Lieferanten angewiesen, so dass alle Unternehmen in den Wertschöpfungsketten betroffen sind.
     
  • Überprüfung Kinderarbeit
    Der Schweizer Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative verlangt, dass die Thematik Kinderarbeit von allen Unternehmen einmal angeschaut wird. Offensichtliche Kinderarbeit in der Lieferkette zieht Sorgfaltspflichten nach sich. Swissmem bietet Mitgliedern einen Leitfaden und Entscheidbaum zur Thematik Kinderarbeit unter Schweizer Recht an.
     
  • LkSG
    Das deutsche Lieferkettengesetz will die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten in den Lieferketten verbessern. Einerseits werden die zwei Themenbereiche umfassend abgedeckt. Andererseits werden explizit direkte und indirekte Zulieferer angesprochen.

Zur Person

 

 

 

 

 

 

Dr. Christine Roth ist Ressortleiterin Umwelt bei Swissmem. Sie berät Firmen im Bereich der Nachhaltigkeit und der Umweltgesetzgebung. Christine Roth hat an der ETH Zürich Umweltnaturwissenschaften studiert und im Bereich Umweltchemie promoviert. Ihr Fokus liegt bei Nachhaltigkeitsthemen in der Schweizer Tech-Industrie wie Kreislaufwirtschaft, Chemikalienrecht oder Berichterstattung.

 

 

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Letzte Aktualisierung: 08.03.2024