Jean-Philippe Kohl,
Vizedirektor und Leiter Wirtschaftspolitik Swissmem
Die Dekarbonisierung der Industrie ist eine Erfolgsgeschichte. Die Mitgliedfirmen von Swissmem, dem Verband der Schweizer Tech-Industrie, haben ihren CO2-Ausstoss zwischen 1990 und 2022 um 55 Prozent gesenkt. Dies gelang durch Effizienzsteigerungen und den Umstieg von Erdöl auf Erdgas. Wohlgemerkt mit Inlandmassnahmen an den Schweizer Produktionsstandorten. Auch Produktionsverlagerungen aus Kostengründen trugen dazu bei. Swissmem Unternehmen haben damit die Vorgaben des CO2-Gesetzes für 2030 bereits erfüllt.
Die Schweiz erhebt mit 120 Franken pro Tonne auf fossile Brennstoffe eine der weltweit höchsten CO2-Abgaben in der Industrie. Trotz dieser hohen Belastung konnte eine Verlagerung der CO2-Emissionen ins Ausland vermieden werden. Dies ist einer klugen Klimapolitik zu verdanken, die CO2-Emissionen wirksam reduziert und gleichzeitig die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen wahrt.
Im sogenannten Zielvereinbarungssystem (ZVS) verpflichten sich Unternehmen, ihre CO2-Emissionen nachhaltig zu senken, um von der CO2-Abgabe befreit zu werden. Ohne entsprechende Massnahmen droht die Zahlung der Abgabe. Die Industrie ist bislang der einzige Sektor, der die Zwischenziele des CO2-Gesetzes erreicht hat. Mit der Revision des CO2-Gesetzes hat der Gesetzgeber den Geltungsbereich des ZVS erweitert. Künftig können alle Unternehmen – nicht nur emissionsintensive – dem System beitreten. Swissmem begrüsst diese Ausweitung, da sie die CO2-Reduktionswirkung der Wirtschaft deutlich stärkt.
Umso überraschender ist der Vorschlag in der Vernehmlassung zur CO2-Verordnung, die an das neue Gesetz angepasst werden muss. Bisher gab es keine quantitative Vorgabe zur CO2-Reduktion für Unternehmen. Sie legten technisch und wirtschaftlich sinnvolle Massnahmen selbst fest, setzten diese um und übertrafen damit die mit dem Bund vereinbarten Reduktionen. Die Verordnung verlangt neu eine jährliche CO2-Reduktion von mindestens 2,5 Prozent, unabhängig davon, ob dies wirtschaftlich oder technologisch überhaupt machbar ist.
Die Vorgabe soll für alle Wirtschaftssektoren gleichermassen gelten. In Bereichen wie der Metallbearbeitung fehlen jedoch oft fossilfreie Technologien oder Brennstoffe für die Erzeugung von Hochtemperatur-Prozesswärme. Erdgasbetriebene Ofen-Anlagen müssen über Jahrzehnte abgeschrieben werden. Grosse Emissionsreduktionen sind somit erst möglich, wenn fossilfreie Lösungen verfügbar sind und bestehende Anlagen ausgetauscht werden. Unrealistische Ziele würden viele Firmen aus dem ZVS drängen, sie zur Zahlung hoher Abgaben zwingen und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit und Existenz gefährden.
Dekarbonisierung durch Deindustrialisierung ist kein tragbarer Weg zu Nettonull bis 2050. Der Bundesrat muss den Paradigmenwechsel, der dem Willen des Gesetzgebers widerspricht, verhindern. Vorgaben sollten unterschritten werden dürfen, wenn keine fossilfreien Alternativen für emissionsintensive Prozesse verfügbar sind. Auch betriebswirtschaftliche Faktoren müssen berücksichtigt werden, insbesondere bei Anlagen, die noch nicht abgeschrieben sind. Die Industrie ist bereit, ihre Emissionen zu senken, doch die Massnahmen müssen tragfähig sein und die Existenz der Unternehmen sichern. Nur mit einer starken Industrie erreichen wir Nettonull ohne Wohlstandsverluste.
Dieser Artikel ist erschienen im Tagesanzeiger vom 13.1.2025