Die Schweizer Rüstungsindustrie verfügt über technologisch führende Produkte. Der inländische Markt ist aber sehr klein. Deshalb braucht die Branche auch Kunden im Ausland, um ihre Erzeugnisse wirtschaftlich entwickeln und produzieren zu können. Der Export von Rüstungsgütern verbessert auch die sicherheitspolitische Position der Schweiz, weil ausländische Kunden im Krisenfall auf die Lieferung dieser Produkte und deren Ersatzteile angewiesen sind. Nur mit diesem «Pfand» kann die Schweiz damit rechnen, dass auch sie im Notfall mit Waffen- und Munition beliefert wird.
Die Schweizer Rüstungsindustrie am Abgrund
Die Kriterien für die Bewilligung von Rüstungsexporten wurden seit 1996 mehrmals verschärft – zuletzt 2021. Seither dürfen Staaten, die in einen internen oder externen Konflikt verwickelt sind, grundsätzlich nicht mehr beliefert werden. Diese Verschärfung brachte die Rüstungsindustrie in eine existenzielle Krise. Der Kern des Problems ist, dass kein einziger NATO-Staat beliefert werden darf, wenn auch nur eines dieser Länder in einen Konflikt verwickelt wird (NATO-Bündnisfall). Das Wiederausfuhrverbot verschärft die Situation zusätzlich. Die NATO-Staaten setzen bei Rüstungsbeschaffungen zunehmend auf «Interchangeability». Sie beschaffen und nutzen Waffensysteme gemeinsam. Das Wiederausfuhrverbot verhindert den flexiblen Einsatz im Krisenfall.
Die Folgen sind massiv: Immer weniger NATO-Staaten kaufen Rüstungsgüter in der Schweiz. Sie wollen nicht riskieren, im Notfall keinen Nachschub oder Ersatzteile aus der Schweiz zu erhalten. Der Begriff «Swiss free» beschreibt die verbreitete Haltung im Ausland. Genauso wenig wollen sie jedes Mal beim Bundesrat nachfragen, ob sie Waffensysteme in einen anderen NATO-Staat verschieben dürfen.
Revision des KMG notwendig
Die NATO-Staaten sind für die Schweizer Rüstungsindustrie zentral. In den vergangenen Jahren gingen bis zu 90 Prozent der Exporte in diese Länder. Ohne diesen Markt steht die Rüstungsindustrie in der Schweiz vor dem Ende. Und ohne diese Branche ist die Einsatzfähigkeit der Schweizer Armee und somit die Sicherheit der Schweiz nicht mehr gewährleistet.
Q&As
Was muss geschehen, damit die Rüstungsindustrie in der Schweiz wirtschaftlich überleben kann?
Dafür muss Art. 22a des Kriegsmaterialgesetz (KMG) angepasst werden. Neu sollen Exporte in Staaten, die im Anhang 2 der Kriegsmaterialverordnung (KMV) abschliessend aufgelisteten sind, grundsätzlich zugelassen werden. Der Bundesrat soll aber ein Veto einlegen können, wenn aussen- oder sicherheitspolitische Interessen dies erfordern. Gleichzeitig muss das Wiederausfuhrverbot für dieselben Länder aufgehoben werden – und zwar vollständig, wenn es um eine Wiederausfuhr innerhalb dieses Länderkreises geht sowie nach einer Frist von zwei Jahren auch für Länder ausserhalb dieses Kreises.
Warum ist eine eigene Rüstungsindustrie für die Schweiz notwendig?
Die bewaffnete Neutralität erfordert, dass sich die Schweiz selbst verteidigen kann. Dazu braucht es eine gut ausgerüstete Armee und eine funktionierende Rüstungsindustrie. Sie sorgt dafür, dass die Waffensysteme auch im Krisenfall einsatzbereit bleiben. Ohne eigene industrielle Basis wäre die Schweiz vollumfänglich vom Ausland abhängig. Das schränkt die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Schweiz massiv ein.
Wie haben sich die Exporte der Schweizer Rüstungsindustrie seit der Gesetzesverschärfung entwickelt?
Die Kriegsmaterialexporte sind 2023 um 27% eingebrochen, 2024 nochmals um 5%. Und das, obwohl weltweit die Militärausgaben stark angestiegen sind. Viele der jüngsten Exporte stammen noch aus Aufträgen, die vor 2021 vergeben wurden. Seither sind die Bestellungen stark zurückgegangen. Der volle Schaden der Gesetzesverschärfung wird sich erst in den kommenden Jahren zeigen.
Wie reagieren die betroffenen Unternehmen?
Viele Unternehmen geraten wirtschaftlich unter Druck und verlagern ihre Produktion ins Ausland. Beispiele sind B&T (Waffenproduktion neu in Deutschland), Swiss P Defence und Systems Assembling SA (Entlassungen), Safran Vectronix (Kurzarbeit) oder GDELS-Mowag (Verlagerung von Wertschöpfung ins Ausland). Damit verliert die Schweiz nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch wertvolles, technisches Know-how.
Was bedeutet das für die Verteidigungsfähigkeit der Schweiz?
Ohne eigene Rüstungsindustrie ist die Armee nur eingeschränkt einsatzfähig. Ersatzteile, Wartung und Nachschub könnten nicht mehr sichergestellt werden. Das betrifft nicht nur Kampfmittel, sondern auch Kommunikationssysteme, Fahrzeuge und Ausrüstungen.
Warum ist das Vertrauen der Partnerstaaten entscheidend?
Die internationale Rüstungskooperation beruht auf langfristigen Beziehungen. Staaten wollen sich auf Lieferketten über Jahrzehnte verlassen können. Wenn ein Land jederzeit (Wieder-)Ausfuhrverbote verhängen kann, wird es zum Unsicherheitsfaktor. Vertrauen ist in diesem Sektor entscheidend. Und dieses Vertrauen hat die Schweiz vielerorts verloren.
Ist es nicht denkbar, Rüstungsgüter einfach zu importieren?
Grundsätzlich ja – aber mit erheblichen Risiken. In Krisenzeiten priorisieren andere Staaten ihre eigenen Bedürfnisse. Wer keine eigene Industrie hat, kann im Ernstfall weder verhandeln noch selbst Güter herstellen und anbieten. Eigenständigkeit ist nicht nur ökonomisch, sondern auch sicherheitspolitisch wichtig.
Bildnachweis Foto oben: VBS/DDPS - Urheber: Sina Guntern
Unsere Position
TecTalk - Der Podcast der Schweizer Tech-Industrie
Europäische Länder nehmen die Schweiz nur noch als Trettbrettfahrerin wahr. Und: Die Schweiz hat den totalen Vertrauensverlust erlitten. Das sagt Peter Huber. Huber ist seit 30 Jahren in der Rüstungsindustrie tätig. Kaum weiss besser, wo, wann und weshalb Staaten Waffen verkaufen und verkaufen. Und er sagt: Die Schweiz ist in einer ungemütlichen Situation. Auch, was die eigene Verteidigung betrifft. Warum das so ist, erklärt Huber in dieser Episode unseres TecTalks.