Startseite Engagement Politik Sicherheits- und Rüstungspolitik Die Schweiz hat einen totalen Vertrauensverlust erlitten

«Die Schweiz hat einen totalen Vertrauensverlust erlitten»

Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist der Krieg nach Europa zurückgekehrt. Der neue US-Präsident verlangt von Europa, deutlich mehr für die Verteidigung zu tun. Nun investiert die EU hunderte Milliarden Euro in die Rüstung. Und die Schweiz? Peter Huber, Unternehmer mit langer Erfahrung in der Verteidigungsindustrie, spricht im Interview über den Exodus der Schweizer Rüstungsindustrie, den Investitionsbedarf in die Armee, die Passivität der Politik und deren Konsequenzen für die Sicherheit der Schweiz.
Das ganze Gespräch gibt es auch als Podcast und Videocast in unserem Format «TecTalk – Die Zukunft im Blick.»

Interview mit Peter Huber, VRP Systems Assembling SA

Peter Huber, Du bist Waffenhändler. Zuckst Du bei dieser Bezeichnung zusammen? 

Nein, überhaupt nicht. Das ist ein ideologischer Kampfbegriff. Wer ihn braucht, versteht nichts von der Industrie. 

Was machst du genau? 

Wir machen keine Waffen im Betrieb, in dem ich beteiligt bin, der Systems Assembling AG. Wir machen verschiedene Geräte, Computer, Kabel und Spulen. Sie werden zu zivilen Zwecken genutzt, zum Beispiel in der Medizinalindustrie, aber auch für den Einbau in Waffensystemen. 

Die EU mobilisiert jetzt hunderte Milliarden Euro für Rüstungsausgaben. Polen investiert 5% der Gesamtausgaben in die Verteidigung. Es entsteht der Eindruck, da werde ein Krieg vorbereitet. Viele in Europa haben Angst, sogar vor einem Atomkrieg. Beschäftigt Dich das?

Ja, absolut. Aber je schwächer die konventionelle Abschreckung ist, umso wahrscheinlicher wird eine Eskalation. Das war in der Geschichte noch immer so. Wo es ein Machtvakuum gibt, stösst jemand vor. 
 

Die Schweizer Tech-Industrie stellt auch Rüstungsgüter her. Beispielsweise Pistolen und gepanzerte Fahrzeuge. Was macht die Schweizer Rüstungsindustrie?

Es gibt viele KMU, die eine gemischte Produktion haben. Sie stellen Güter für die Rüstungsindustrie und ähnliche Produkte für zivile Anwendungen her. Computer oder Spulen zum Beispiel. Gleiche Produkte, die mit wenig Änderung eben zu militärischen Produkten werden. 

Die Schweizer Rüstungsindustrie ist in letzten 30 Jahren eigentlich «abgerüstet» worden. Betriebe, die dem Bund gehört hatten, sind an ausländische Unternehmen verkauft worden. Hat die Schweiz noch eine eigene Rüstungsindustrie?

Das würde ich klar mit Nein beantworten.

Also keine Schweizer Rüstungsindustrie mehr in der Schweiz. Du sagst, sie ist nicht mehr existent?

Es werden schon noch Sachen hergestellt. Aber es gibt nichts mehr, was nur in der Schweiz gemacht wird. In der Schweiz haben wir ein rüstungsfeindliches Environment. Und wir haben rechtliche Unsicherheiten. Ich habe lange in einem englischen Konzern gearbeitet, Aerospace & Defence, mit einem Anteil von etwa 70% zivil und 30% Rüstung. Schon Anfang der 2000er Jahre haben wir die Schweiz nicht mehr berücksichtigt, wenn es um rüstungsrelevante Investitionen ging.

Trotz der hohen, technologischen Fähigkeiten in Schweiz? 

Ja, aber die nützen nichts, wenn man die Produkte nicht exportieren kann und der Schweizer Markt annähernd Null ist. 
 

Man könnte sagen, die Schweiz müsse nicht selbst Rüstungsgüter herstellen, man könne es einfach einkaufen. 

Ja. Das ist eine Möglichkeit – mit zwei Nachteilen. Der erste sind die Kosten: Du musst dir überlegen, wie viele Reserven du brauchst. Und wenn’s dann «chlöpft» – gibt’s noch Nachschub? Wie viele Ersatzteile muss du haben und wie viel Munition? Was muss du selbst reparieren können, und, und, und. Das wird dann eher teuer. Und der zweite Nachteil ist, dass du hast kein Pfand hast. Wenn es zur Krise kommt, schauen die Nationalstaaten zuerst und sehr schnell für sich selbst. Das haben wir bei Covid gesehen. Stellt man aber selbst Rüstung her, ist man in gegenseitiger Abhängigkeit. Im internationalen Geschäft ist das immer das Beste. Wer keine Rüstungsindustrie hat, wird im Krisenfall keine Verhandlungen führen können, weil man nichts zu bieten hat. Und das, was dann gebraucht wird, zum Beispiel Munition, das wollen dann alle haben. 
 

Schon heute wird die Schweiz in Sachen Rüstung umgangen: Deutschland will nicht mehr hier kaufen. 

Der Begriff, der jetzt in Europa die Runde macht, ist «swiss free»: Keine Rüstungsprodukte, die in der Schweiz hergestellt sind. Die anderen Staaten wollen nicht davon abhängig sein, was in Bern übermorgen entschieden wird. In der Industrie braucht man Lieferanten, die 30 Jahre und mehr liefern können. Die Schweiz hat einen totalen Vertrauensverlust erlitten. Wir werden als rechtsunsicher wahrgenommen. 
 

Deshalb lagern Schweizer Firmen ihre Rüstungsproduktion ins Ausland aus. 

Ja, das läuft jetzt. Ich kenne viele Leute in dieser Industrie und meine, fast alles ist schon ausgelagert. 

Das Schweizer Kriegsmaterialgesetz verbietet ausländischen Rüstungskunden, die Schweizer Produkte weiterzuverkaufen.  Und der Bundesrat wendet es restriktiv an, auch während es Ukraine-Krieges. 

Die Munition, welche die die Deutschen für ihre Gepard-Panzer gekauft haben, war so ein Fall. Dann gab es den Fall Spanien mit Flugabwehrkanonen und dann noch gepanzerte Fahrzeuge der Mowag. Die Staaten haben jetzt realisiert: Mit Schweizer Produkten haben wir ein Problem. Sie wollen keine Rüstungsgüter kaufen und dann von der Schweizer Politik abhängig sein.

Schlussendlich brauchen wir Rüstungsgüter auch für unser eigenes Militär. In Bern wird heftig darüber gestritten, was das kosten darf, soll oder muss. Swissmem fordert, dass wir unsere Rüstungsausgaben von 0.7% auf 1% des BIP erhöhen. 

Vielleicht können wir mal bei den 2% der NATO anfangen. Aber selbst mit 2% baust du eine Armee nicht auf. Du unterhältst sie bloss. Deshalb wird jetzt von 3 bis 5% gesprochen. Trump sagt 5%.  

In der Schweiz reden wir von 1% des BIP. 

Wir sind bei 0,7%. Wenn man das mit den anderen Ländern vergleicht, sind wir höher, denn unsere Milizarmee wird zu einem guten Teil via Löhne von der Privatwirtschaft bezahlt. Das ist in anderen Ländern nicht eingerechnet, wo der Staat alles bezahlt. Möglicherweise sind wir also schon bei 1%. Nur reicht das absolut nicht, um in vernünftiger Zeit unsere Verteidigungsfähigkeit wieder aufzubauen. Zwei Beispiele: Statt 36 Kampfjets des Typs F-35 bräuchten wir 72. Divisionär Claude Meier hat das auf 300 Seiten in seinem Bericht dargelegt. Unser Flugabwehrsystem Patriot deckt 14'000 Quadratkilometer ab. Die welschen Kollegen haben mich schon gefragt, wo wir das aufstellen. In Zürich oder im Welschland? 1% des BIP wird nicht reichen!

Gibt es genügend Material? Alle wollen jetzt Rüstung kaufen. 

Im Prinzip sind wir zu spät. Jetzt ist es ein Verkäufermarkt. Man sieht das bereits bei trivialen Dingen wie Militärstecker: Wir haben in Deutschland bestellt, aber man hat uns vertröstet. Die Schweiz bekommt, nachdem alle anderen zugegriffen haben. 

Stefan Brupbacher, der Direktor von Swissmem, unterstützt den Vorschlag von Ständerat Würth, die Mehrwertsteuer befristet um 0.9% zu erhöhen. Für die Armee und die 13. AHV-Rente. 

Der Vorschlag begeistert mich nicht gross. Beschränkt auf fünf Jahre ist keine nachhaltige Lösung.
 

Es ist eben das politisch Machbare. 

Man hat die Möglichkeit, andere Ausgaben zu reduzieren, was beim 90 Milliarden Bundesbudget möglich sein sollte. Aber die Hauptproblematik ist, dass es zu lange geht. Der Zug ist abgefahren. 

Das tönt sehr pessimistisch. 

Ja, pessimistisch für die Schweiz. Wir sind in einer ungemütlichen Situation.
 

Wir Schweizer sind doch umgeben von NATO-Staaten mit der kleinen Lücke Österreich. Uns passiert dann schon nichts, denken viele. 

Das ist genau das, was der US-Botschafter meinte, als er vom Loch im Donut sprach. Nur besteht der Donut vorwiegend aus den Amerikanern. Wenn die nicht mehr in Europa sind, haben wir keinen Donut mehr um uns herum. Die deutsche Bundeswehr ist nicht einsatzfähiger als unsere Armee. 

Was ist Deine Erfahrung mit Leuten aus der Industrie und Politikern in den EU-Staaten? Wie sehen die die Schweiz heute? 

Als Trittbrettfahrerin. In der EU gibt es jetzt ein Umdenken, das teilweise sogar über die ideologischen Gräben hinweg geht. Bei uns ist das noch nicht festzustellen. 

Traust du unserer Politik die Zeitenwende zu?

Nein, nicht wirklich. Ich glaube, es ist zum Teil systeminhärent. Unser Bund ist sich gewohnt, vor allem die Umverteilung zu verwalten. Aber strategisches Denken und Führung ist weniger angesagt. Die langen, demokratischen Entscheidungsprozesse kommen noch dazu. 

Peter, letzte Frage. Ich habe dich am Anfang als Waffenhändler bezeichnet. Natürlich auch, um dich herauszufordern. Glaubst Du, es gibt irgendwann eine Welt ohne Waffen?

Es gibt keine historische Evidenz dafür. Wir hoffen es alle, aber das ist sicher noch in weiter Ferne. Im Moment bewegt sich die Welt in die andere Richtung, leider. 

Das Interview führte Michael Perricone 

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Letzte Aktualisierung: 01.04.2025