Startseite Wissen Technologien Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit: Tech-Industrie zwischen Pflichten und Potenzial
Ansprechpartner  Christoph Blättler Christoph Blättler
Ressortleiter
+41 44 384 48 25 +41 44 384 48 25 c.blaettlernoSpam@swissmem.ch
Teilen

Nachhaltigkeit: Tech-Industrie zwischen Pflichten und Potenzial

Einmal mehr war der Saal im Lake Side in Zürich bis auf den letzten Platz besetzt. Das diesjährige Symposium widmete sich einem Thema, das für die Tech-Industrie immer dringlicher wird: Nachhaltigkeit. Einerseits kommen insbesondere von Seiten der EU gesetzliche Pflichten auf die Unternehmen zu. Gleichzeitig eröffnen sich Potenziale für innovative technologische Lösungen, mit denen sich Unternehmen erfolgreich am Markt positionieren können.

Auch dieses Jahr startete der Tag mit Swissmem-Präsident Martin Hirzel, der einen Überblick zur konjunkturellen Situation der Schweizer Tech-Industrie lieferte. Leider sind die Zahlen für alle drei wichtigen Bereiche Aufträge, Umsätze und Exporte nicht erfreulich: In den Märkten China, Indien und den USA konnten zwar Zuwachsraten verzeichnet werden, aber diese können die Einbussen auf dem europäischen Markt nicht auffangen. Erfreulich ist jedoch das Bekenntnis der Unternehmen zum Schweizer Standort. 3/4 der Mitgliedfirmen planen in den nächsten drei Jahren Investitionen. Der Zugang zu qualifizierten Arbeitskräften trotz Fachkräftemangel sowie der liberale Arbeitsmarkt sind die wichtigen Gründe dafür. Die zunehmenden Pflichten im Nachhaltigkeitsbereich stellen Unternehmen vor weitere herausfordernde Aufgaben. Nichtsdestotrotz besteht in diesem Bereich aber auch die Chance sich am Markt zu differenzieren. Denn insbesondere die innovativen, technologischen Lösungen der Tech-Industrie leisten einen wesentlichen Beitrag beim Schutz von Klima und Umwelt.

Dr. Jan Atteslander, Mitglied der Geschäftsleitung von economiesuisse, spannte den Bogen weiter und ging auf die vielfältigen Spannungen ein, die durch die aktuelle Geo- und Machtpolitik entstehen. FĂĽr die Weltwirtschaft zeichne sich dadurch eine immer stärkere Tendenz zur Fragmentierung ab. Die Rivalität zwischen China und den USA mit ihren protektionistischen Bestrebungen und den daraus resultierenden «Exportbans» betrifft insbesondere auch die Tech-Industrie und hat Auswirkungen auf die internationalen Lieferketten. Der Angriffskrieg Russlands wiederum fĂĽhrte zu einer beispiellosen Eskalation der Wirtschaftssanktionen. Diese sind fĂĽr die Schweizer RĂĽstungsindustrie existenzbedrohend geworden. 

Mit Stéphanie Mittelham, Manager Green Transition Orgalim, rückte das Thema Nachhaltigkeit endgültig in den Mittelpunkt. Sie stellte die politische Agenda der EU in Sachen Nachhaltigkeit für die Legislaturperiode 2024 – 2029 vor und gab einen Überblick zu den zahlreichen Initiativen, die derzeit auf europäischer Ebene im Bereich Nachhaltigkeit laufen. Diese bezeichnete sie als regelrechten «regulatory tsunami». Stéphanie Mittelham ging näher auf die «Ecodesign for Sustainable Products Regulation (ESPR)» ein, da diese Verordnung auch die Schweizer Tech-Industrie betrifft, welche 60 Prozent ihrer Produkte in den europäischen Markt verkauft. Und sie wies darauf hin, dass Orgalim als Unterstützung detaillierte Empfehlungen zu den EU-Richtlinien anbietet.

Peter Paul van de Wijs, Chief Policy Officer der GRI Global Reporting Initiative, ging anschliessend auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung ein. Hierfür müssen die Unternehmen die Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit aus zwei Perspektiven betrachten. Zum einen geht es um die ökonomischen, ökologischen und sozialen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf alle Stakeholder. Zum anderen gilt es die Auswirkungen von Nachhaltigkeitsthemen auf den Unternehmenswert zu berücksichtigen. Finanz- und Nachhaltigkeitsstandards sollten in einem ersten Schritt unabhängig voneinander entwickelt werden; anschliessend bedarf es dann jedoch eines Mechanismus, um den Zusammenhang zwischen beiden zu klären.

Dr. Christine Roth, Ressortleiterin Umwelt bei Swissmem, ging auf die spezifische Situation der Schweizer Unternehmen ein. Die Anforderungen im Bereich der Nachhaltigkeit steigen rasant und werden immer komplexer. Neben den Produktionsprozessen und Produkten rücken zunehmend auch die Wertschöpfungsketten ins Blickfeld. Um Hebel und Chancen zu erkennen, braucht es eine ganzheitliche Sicht. Dazu gehört ein frühzeitiges Engagement, um Know-how aufzubauen. Zielkonflikte müssen adressiert werden, um entscheiden zu können, wo man ansetzen will. Zudem lohnt es sich aus ihrer Sicht, die Parallelen zur Digitalisierung in den Bereichen Daten und neue Geschäftsmodelle zu nutzen. Vor allem aber sollte Nachhaltigkeit in die Unternehmensstrategie und den Innovationsprozess integriert werden.

Swissmem bietet Mitgliedunternehmen mit verschiedenen Angeboten UnterstĂĽtzung im Thema Nachhaltigkeit. Die Ăśbersicht finden Sie hier.

Der Nachmittag begann mit einer Podiumsdiskussion, bei der die Expertinnen und Experten die zahlreichen Fragen aus dem Publikum beantworteten. Die weiteren Vorträge boten spannende Einblicke in die Praxis, wie mit Nachhaltigkeitsthemen umgegangen wird und welche erfolgreichen Lösungen es bereits gibt.

Markus Praeger, Chief ESG und Corporate Communications Officer bei Bystronic, skizzierte den pragmatischen Ansatz seines Unternehmens, der auf geschäftsorientierten ESG-Performance-Management-Systemen basiert. Er riet den Anwesenden, sich nicht einschĂĽchtern zu lassen von der Vielzahl an Regulierungen, sondern im Unternehmen auf Bestehendem aufzubauen und einfach mal loszulegen. Es braucht nicht gleich von Anfang an den perfekten Plan. Dazu ist man bei Bystronic in die einzelnen Abteilungen gegangen und hat zusammengetragen, was dort bereits gemessen wird. Daraus entstand ein «ESG Framework», das die drei Bereiche nachhaltige Lösungen, engagierte Mitarbeitende und verantwortungsvolle Geschäftstätigkeit umfasst. 

Die Schulthess Produktion AG setzt bei ihren Waschmaschinen auf «Connected Lifecycle Management». Dr. Tobias Widmer, Leiter Digital Solutions und Sustainability Officer, erklärte, wie sie für das Bezahlen, Überwachen und Dosieren auf smarte Technologien bei ihren Waschmaschinen setzen. Das macht den Kunden das Leben einfacher, schont Ressourcen und steigert die Effizienz der Geräte. Ein weiteres Ziel ist es, verstärkt auf Reparatur und Wiederverwendung zu setzen und so die Kreislauffähigkeit der Produkte weiter zu optimieren.

Die Hitachi Zosen Inova AG ist Marktführerin für Anlagen zur thermischen und biologischen Behandlung von Abfällen (WtX) sowie zur Produktion erneuerbarer Gase wie Biogas/Biomethan, synthetisches Methan, Wasserstoff oder flüssiges CO2. Lukas Heer, Senior Project Development Manager, zeigt auf, dass Biogas aus Abfall ein wahres Multitalent und das Potenzial in der Schweiz noch längst nicht ausgeschöpft ist. Nebst dem Energieaspekt – Umwandlung in Strom und Wärme oder als Biomethan in Haushalten, der Industrie und im Verkehr einsetzbar – spielt auch der Stoffkreislauf eine wichtige Rolle, denn die organische Substanz, die einer Biogasanlage zugeführte wird, kann als sogenanntes «Digestat» zu einem grossen Teil als Dünger weiter eingesetzt werden.

Yann Ulrich, Senior Consultant Digital Enterprise, Siemens Schweiz AG, erläutert, wie die mit der Digitalisierung einhergehende Datentransparenz entlang des Produktlebenszyklus – unter Einbezug der Industriepartner – ein grosses Potenzial zur Dekarbonisierung eröffnet. Die preisgekrönte «Green Lean Digital Factory» von Siemens setzt genau dies um, indem sie auf einen kontinuierlichen Optimierungskreislauf von Produkt und Produktion setzt. Realisiert wird dies vor allem auch durch den Einsatz eines digitalen Zwillings. Seit 2015 konnten dadurch die Treibhausgasemissionen um fast 50 Prozent reduziert und gleichzeitig die Produktion um 70 Prozent gesteigert werden.

Im Schlussreferat griff Nora Teuwsen, Vorsitzende der Geschäftsleitung ABB Schweiz AG die Tatsache auf, dass wir in der Wirtschaft immer noch weitgehend linear vorgehen. Produkte haben eine begrenzte Lebensdauer und werden in der Regel entsorgt, wenn ihr Nutzwert abnimmt. Vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen brauche es hier ein Umdenken hin zu einem Kreislaufansatz. Wie das bei der ABB aussieht, zeigt sie an verschiedenen eindrĂĽcklichen Beispielen: Synchronreluktanzmotoren, die ohne Seltene Erden auskommen; Retrofit statt Ausweidung bei Umrichtern; Umnutzung von ausgedienten SatellitenschĂĽsseln als Solarkraftwerk; Ermittlung des erheblichen Energiesparpotenzials von Elektromotoren beim CERN.

Die rundum gelungene Veranstaltung schloss mit einem Apéro, der nochmals ausgiebig für Austausch, Networking und den Besuch der Stände genutzt wurde.

Das nächste Swissmem Symposium findet am 28. August 2025 statt.

War dieser Artikel lesenswert?

Diese Artikel könnten Sie interessieren

Letzte Aktualisierung: 24.09.2024