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«Wir dürfen nicht alles über einen Kamm scheren»

In der EU wird derzeit ein Verbot der sogenannten PFAS, diskutiert. Sollte es dazu kommen, wäre auch die Schweizer Tech-Industrie betroffen. Die Branche exportiert über 80% der Güter ins Ausland, wobei die EU mit rund 57% die wichtigste Handelspartnerin darstellt. Dr. Christine Roth, Ressortleiterin Umwelt, ordnet ein.

PFAS stehen heute wegen ihrer Umweltauswirkungen und potenziellen Gesundheitsrisiken stark in der Kritik. Dabei ist es noch gar nicht allzu lange her, da wurde einer der bekanntesten PFAS-Stoffe, nämlich Teflon, als das Wundermaterial schlechthin gefeiert. Teflon ist wasserabweisend und hitzebeständig und für viele Anwendungen schlicht das beste Material. Es zählt zu den Fluorkunststoffen, die selbst keine signifikanten Auswirkungen auf die Umwelt und den Menschen haben. 

Hier zeigt sich genau die Problematik eines pauschalen PFAS-Verbots: Es werden 10’000 Stoffe über einen Kamm geschert, obwohl ihr Risikopotenzial komplett verschieden ist. Damit wird in Kauf genommen, dass künftig Produkte nicht mehr hergestellt werden können, die es zum Beispiel für den Ausbau der erneuerbaren Energien braucht. Aber auch diverse andere Anwendungsgebiete wären betroffen. Fluorpolymere werden von einem Grossteil der produzierenden Industrie verwendet. Hochleistungs-Batterien, wie sie in Laptops, Tablets und Mobiltelefonen, in E-Automobilen oder E-Bikes verbaut werden, sind auf Membranen aus Fluorpolymeren angewiesen.

Auch für Dichtungen, wie sie die Firma Kubo Tech herstellt, sind Fluorpolymere das bis heute bevorzugte Material. Sauberes Trinkwasser, Milch oder Joghurt können nur mit geeigneten Dichtungen verarbeitet und transportiert werden. Diese schützen das Produkt vor äusseren Einflüssen und Verunreinigungen. Sie verhindern aber auch, dass kritische Chemikalien in die Umwelt ausdringen – zum Beispiel bei Heizöl, Benzin oder Gas. 

Hochreine Flüssigkeiten sind auch für die Kunden von Levitronix relevant. Levitronix stellt magnetgelagerte Pumpsysteme her, welche zur Herstellung von Halbleiterbauteilen (Computerchips, Elektronik etc.) verwendet werden. Die durch Schläuche transportierten Flüssigkeiten – es handelt sich dabei teils um konzentrierte Säuren und Laugen, aber auch um reines Wasser – dürfen auf keinen Fall mit Metall in Berührung kommen. Fluorpolymere sind unabdingbar für diese Prozesse, da sie die einzigen Materialien sind, die eingesetzt werden können, ohne zerstört zu werden oder Verunreinigungen zu verursachen.

Ein weiterer Einsatzbereich von Fluorpolymeren ist die Medizinaltechnik. Das Ostschweizer Unternehmen HB-Therm stellt Temperiergeräte für die kunststoffverarbeitende Industrie her. Diese werden zum Beispiel bei der Produktion von Insulinspritzen oder Beatmungsgeräten gebraucht. Beim Spritzgiessen von Kunststoffen sind kontrollierte Werkzeugtemperaturen erforderlich. Temperiergeräte regeln diese mit einem flüssigen Wärmeträger, indem sie Wärme geregelt zu- oder abführen. So werden Kunststoffteile korrekt geformt. Die Produkte von HB-Therm enthalten PFAS, denn Alternativen, die Temperaturen über 100 °C standhalten, existieren derzeit noch nicht. 

Es stellt sich also die Frage: Was ist nachhaltiger? Ein pauschales Verbot aller PFAS oder eine differenzierte Betrachtung dieser heterogenen Stoffgruppe, was die Herstellung systemrelevanter Produkte auch in Zukunft sicherstellt?

Eines ist klar: Sollte ein generelles Verbot von PFAS in der EU und später auch in der Schweiz eingeführt werden, käme es zu disruptiven Folgen für die produzierende Industrie. Für die genannten Beispiele hiesse es: Die Chip-Produktion müsste ins Ausland verlagert werden, was zu einer grösseren Abhängigkeit von China, Taiwan und Co. führen würde. Das Produktangebot würde eingeschränkt und Qualitätseinbussen wären zu erwarten. Für einige Anwendungen gäbe es wohl für eine unbestimmte Zeit keine valable Lösung, zum Beispiel in der Gebäudetechnologie, der Stromübertragung oder in der Luftfahrt, die ohne Fluorpolymere schlicht gar nicht oder deutlich schlechter funktionieren. 

Es ist unbestritten, dass es Alternativen für toxische PFAS mit potenziellen Gesundheits- und Umweltrisiken braucht. Mit einem Rundumschlag sind aber ebenfalls grosse negative Folgen zu befürchten. 

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Letzte Aktualisierung: 17.05.2024