Smarte Maschinen, vernetzte Systeme und datenbasierte Entscheidungen: Wo setzen Unternehmen mit ihren Digitalisierungsprojekten in der Produktion an und was sind die Erfahrungen? Antworten liefern die eintägigen Factory Tours von Next Industries, bei denen jeweils drei Industriebetriebe besucht werden. Kürzlich waren das im Raum Winterthur die Unternehmen Kistler Instrumente, Burckhardt Compression und Stadler Winterthur, die sehr offen einen Einblick in den Stand ihrer Digitalisierungsinitiativen gewährten.
Vom klassischen Shopfloor zur Smart Factory
Kistler, ein weltweit führender Anbieter in der dynamischen Messtechnik, verfolgt das Ziel, seine Produktion vom klassischen Shopfloor-Modell zu einem Closed Loop Manufacturing-System weiterzuentwickeln. Das Familienunternehmen setzt dabei konsequent auf den Ausbau seines Fertigungsökosystems, das neueste Technologien integriert, um so die Produktionsprozesse weitgehend zu automatisieren, Ressourcen effizient zu nutzen und die betriebliche Leistungsfähigkeit nachhaltig zu steigern.
Technologische Massnahmen
Das Familienunternehmen investiert in die Automatisierung sowie in digitale Prozessketten. Fertigungsdaten werden systematisch erfasst und analysiert – etwa zur Reduktion von Rüstzeiten oder Ausschussraten. Echtzeitdaten ermöglichen ein schnelles Eingreifen in den Produktionsprozess. Die schrittweise Integration des ERP-Systems mit PLM und MES sorgt für eine durchgängige Verbindung von Geschäftsprozessen und Datenmanagement, um die Effizienz zu maximieren. Virtuelle Simulationen unterstützen zusätzlich die Entscheidungsfindung in der Entwicklung von Produktionsprozessen, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden.
Ein Highlight: Auf einem knapp 20’000 m² grossen Areal wird eine Smart Factory entstehen, die unter anderem die weltweit grösste Fertigung für piezoelektrische Sensoren beheimaten soll.
Herausforderungen auf dem Weg
- Bestehende Maschinen, bei denen derzeit keine Erfassung und Übertragung von Maschinendaten möglich ist.
- Ein umfangreiches und technisch komplexes Produktportfolio.
- Vorhandene Daten sind unstrukturiert, schwer zugänglich oder bleiben ungenutzt.
- Der kulturelle Wandel, da digitale Prozesse neue Denk- und Arbeitsweisen erfordern.
Zentrale Learnings
- Eine ĂĽbergreifende Vision ist essenziell fĂĽr eine erfolgreiche Transformation.
- Fokus auf Datenqualität, nicht auf Quantität legen, um fundierte und verlässliche Analysen zu ermöglichen.
- Neue Produkte sollten von Beginn an nach dem Prinzip «Design for Automation» entwickelt werden.
- Think beyond the pilot – design for the future.
Digitalisierung als strategischer Hebel fĂĽr VerfĂĽgbarkeit, Transparenz und Predictive Analytics
Burckhardt Compression gehört zu den führenden Herstellern von Kolbenkompressoren und setzt seit Jahren auf die Potenziale der Digitalisierung – sowohl im Kundenservice als auch in den eigenen Produktions- und Verwaltungsprozessen. Das Unternehmen kann auf 30 Jahre Erfahrung im Monitoring beim Kunden zurückblicken.
Technologische Schwerpunkte
Im Fokus steht aktuell der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), insbesondere von Large Language Models (LLMs), um jahrzehntelang angesammelte und teils heterogene Dokumentationen – darunter auch handschriftliche Zeichnungen – effizient auszuwerten und nutzbar zu machen. Die Herausforderung: Die durchschnittliche Lebensdauer der eingesetzten Kompressoren beträgt über 30 Jahre, wodurch Informationen oft schwer auffindbar oder nicht digitalisiert sind. Technologien wie ChatGPT Enterprise, Co-Pilot, DeepL Pro werden getestet. Im Bereich interner Prozessoptimierung wird insbesondere auf SAP S/4HANA gesetzt. Aufgrund der Cloudlösung wurde eigens eine Unit für Cybersecurity eingeführt.
Herausforderungen auf dem Weg
- Die Sammlung von Daten ist zeit- und kostenintensiv.
- Die lange Lebensdauer der Produkte fordert die durchgängige digitale Dokumentation heraus.
- Die grosse Anzahl an Zertifizierungen im Produktionsprozess stellt hohe Anforderungen an eine digitale Datenverwaltung, Systemintegration und RĂĽckverfolgbarkeit.
Zentrale Learnings
- Digitalisierung ist ein Marathon: Erfolge brauchen Zeit und finanzielle Investitionen.
- Inhouse-Kompetenzen sind wichtig: Digitale Projekte sollten nicht vollständig an externe Dienstleister ausgelagert werden.
- Interne Stakeholder frĂĽhzeitig einbeziehen: Eine gute Zusammenarbeit in der Organisation sichert Akzeptanz und Umsetzung.
- Generationenübergreifende Teams fördern: Innovation entsteht durch die Kombination von erfahrenem Know-how und neuen Perspektiven junger Mitarbeitender.
Mit RFID und digitalen Prozessen zu mehr Effizienz
Stadler Winterthur, ein Produktionsstandort des internationalen Schienenfahrzeugherstellers Stadler, fertigt Drehgestelle für Nah- und Fernverkehrszüge mit höchster Präzision und wachsendem Automatisierungsgrad. Die Drehgestelle gelten als sicherheitsrelevante Schlüsselkomponenten, die massgeblich zur Laufruhe, Sicherheit und Effizienz moderner Züge beitragen.
Technologische Massnahmen
Durch die gezielte Erfassung und Analyse von Fertigungsdaten verbessert Stadler kontinuierlich die Qualität, Taktzeiten und Rückverfolgbarkeit. Digitale Montageprotokolle mit Seriennummern-Scans ersetzen papierbasierte Dokumentationen, reduzieren den manuellen Aufwand und erhöhen die Genauigkeit der Daten. Digital aufrufbare Anleitungen führen die Monteure durch die einzelnen Prozessschritte. Der Einsatz von RFID-Tags ermöglicht eine lückenlose Rückverfolgung der verbauten Komponenten, einschliesslich spezifischer Produktionsschritte und Qualitätsnachweise.
Herausforderungen auf dem Weg
- Hohe Variantenvielfalt der Produkte (Nah-, Fern-, HochgeschwindigkeitszĂĽge, internationale Normen)
- Integration bestehender Maschinenparks in digitale Prozesse
- Die Anschaffung und Implementierung digitaler Technologien erfordern hohe Investitionen und sind mit einem Change-Management verbunden.
Zentrale Learnings
- Ein hoher Automatisierungsgrad darf die notwendige Flexibilität für kundenspezifische Anforderungen nicht einschränken.
- Der Erfolg digitaler Lösungen hängt von der Qualität und Konsistenz der erhobenen Produktionsdaten ab.
- Digitale Technologien müssen sich in bestehende Abläufe integrieren und deren Logik unterstützen.
Sie möchten an der nächsten Factory Tour dabei sein?
Diese fĂĽhrt am 2. Juli 2025 in die Zentralschweiz. Auf dem Programm steht der Besuch der Unternehmen RUAG, Wilhelm Schmidlin AG und Thermoplan AG.
Ressortleiter Digitalisierung, Innovation und Technologie
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