Weitblick ist in der Digitalisierung definitiv erforderlich, da war man sich an der 10. Ausgabe des Industrieforums 2025 einig. Den schnellen Erfolg gibt es nicht. Zu komplex sind die Herausforderungen auf den verschiedenen Ebenen und ein gutes Verständnis der Kundenbedürfnisse ist manchmal schwieriger zu erreichen als gedacht. Entsprechend spannend waren die Erfahrungsberichte der Referenten, die von Erfolgen, Visionen, Hürden und Kurskorrekturen erzählten.
In Bewegung bleiben und aus Fehlern lernen
Keynote-Speaker Thomas Zurbuchen, ehem. Head of Science bei der NASA, stellte das Change-Management in den Fokus seiner Rede. Innovative Unternehmen müssten permanent in Bewegung bleiben, was aber unweigerlich auch zu Fehlern führe, wie er anschaulich und offen an Beispielen aus seiner Tätigkeit für die NASA aufzeigte. Was für ihn eine gute Fehlerkultur ausmacht:
- Transparenz und Ehrlichkeit
- Klar geregelte Verantwortlichkeiten
- Lernorientierung
Weg vom Gefrickel 4.0
Johann Hofmann, Founder of ValueFacturing, Maschinenfabrik Reinhausen, hielt ein Plädoyer für die Schaffung von standardisierten Schnittstellen, damit Komponenten, Maschinen und Systeme unabhängig von ihren Herstellern vernetzungsfähig sind, und man von dem – wie er es nennt – Gefrickel 4.0 in der Produktion wegkommt.
«Plug & Produce» sei seine Vision, tatsächlich gelte in der Realität derzeit noch eher ein «Plug & Pray». Mit OPC UA stehe eine Weltsprache und damit ein Integrations-Framework zur Verfügung, bislang fehle es in der Fertigung jedoch noch an einem einheitlichen Vokabular.
Digitales Geschäftsmodell: erst warum und dann wie
Sebastian Kohlhase, Head of Automation & Digital Solutions, Steinemann Technology AG, gesteht zu Beginn seiner Präsentation, dass man mit der Implementierung des digitalen Geschäftsmodells noch nicht dort sei, wo man hinwolle. Die Gründe dafür: Die Komplexität des Projekts stieg so stark an, dass man mit den internen Möglichkeiten an Grenzen stiess. Und auch bei der Identifizierung der Kundenbedürfnisse musste man nochmals nachschärfen. Seine Learnings:
- An erster Stelle steht die Frage: Was will der Kunde? Wenn das «Warum» des Projekts geklärt ist, kann man sich mit dem «Wie» auseinandersetzen.
- Digitalisierung ist nicht nur eine Entwicklung, sondern auch eine Vereinigung von Disziplinen.
- Im Unternehmen muss Know-how aufgebaut werden und es empfiehlt sich, ein Ă–kosystem von Partnern hinzuzuziehen.
- Es braucht auch organisatorische Veränderungen und bereichsübergreifende Teams
Cyberresilienz aufbauen – ein individueller Ansatz
Gemäss Dominique Trachsel, Verantwortliche Sensibilisierung und Prävention, Nationales Zentrum für Cybersicherheit (NCSC), wird jedes dritte Schweizer KMU Opfer eines Hackerangriffs. PB Swiss Tools ist eines davon. 2021 kam es bei dem Schweizer Familienunternehmen auf mehreren Serversystem zu einer Verschlüsselung durch einen Trojaner.
Das Unternehmen zog im Rahmen eines Pilotprojekts das NCSC hinzu mit dem Ziel, die Cyberresilienz des Unternehmens strukturiert und strategisch zu stärken und auszubauen. Wichtig hierbei: um erfolgreich eine Awareness für die Risiken zu schaffen, sollten unbedingt die individuellen Voraussetzungen eines Betriebs hinsichtlich Infrastruktur, Organisation und Kultur, aber auch die unterschiedlichen Berufsprofile der Mitarbeitenden berücksichtig werden.
Durch die Zusammenarbeit konnte ein Prototyp zur Sensibilisierung entwickelt werden mit Schulungen, Dokumentationen etc. Das NCSC plant diesen in geeigneter Form auch anderen Industriebetrieben zugänglich zu machen.
Innovation: «Keep calm and focused»
Christopher Kirsch, Division Director Global Innovation and Digital Transformation, BEUMER Group GmbH & Co., stellte Use Cases ihrer Innovationstätigkeit im Logistikbereich vor. Mit der Automatisierung von manuellen Prozessen konnte man den Kunden einen Mehrwert bieten, die mit einer hohen Fluktuation und dem Fachkräftemangel zu kämpfen haben. Mit einer weiteren Innovation, bei der man mittels einer AR-Brille eine Assistenz für den permanent hohen Trainingsbedarf der Mitarbeitenden bot, war hingegen nicht erfolgreich. Man hat den Bedarf überschätzt, die Lösung war den Kunden zu teuer. Seine Erfahrungen:
- Den schnellen Erfolg gibt es nicht.
- Scheitern gehört dazu.
- Fazit: Es braucht eine enge Kundeninteraktion, um sicherzustellen, dass man auf dem richtigen Weg ist.
Hightech-Sektor: Fokus auf der inkrementellen Innovation
Prof. Martin Wörter von der KOF ETHZ lenkte den Blick auf die gesamte Branche und stellte die wichtigsten Ergebnisse aus seiner Innovationsstudie vor:
- Der Anteil der F+E-Ausgaben am Umsatz ist rückgängig.
- Gleichzeitig ist der Umsatz durch innovative Produkte und Dienstleistungen konstant geblieben.
- Der kommerzielle Erfolg liegt vor allem bei den inkrementellen Innovationen.
- Zu den Innovationshemmnissen zählen hohe Kosten, lange Amortisationsdauer, Marktrisiken, fehlende Eigenmittel und mit einer klar steigenden Bedeutung der Fachkräftemangel.
Die Studie, welche Professor Franz Barjak von der FHNW präsentierte, führt die abnehmenden Innovationsaktivitäten auf die steigende Komplexität zurück, bei der technologische, organisatorische, marktbezogene, wettbewerbsbedingte sowie regulatorische und finanzielle Aspekte zusammenkommen. Ein Weg zur Bewältigung dieser Herausforderungen sieht er in so genannten Innovations-Ökosystemen und Kooperationen.
Profitable digitale Services
Walter Graf, Senior Project Manager Reishauer AG, und Urs Künzle, Senior Business Solution Manager, Zühlke Engineering AG, ist mit der Entwicklung des so genannten ARGUS-Monitoringsystems eine grosse Erfolgsgeschichte gelungen. Dieses ermöglicht den Kunden einen noch nie dagewesenen Einblick in die Schleifprozesse und den Zustand wichtiger Maschinenkomponenten. Grundlage dafür ist ein riesiger Datenpool – zur Verfügung gestellt von den Kunden – und Künstliche Intelligenz. Das Interesse der Kunden an diesem kollektiven Wissenszuwachs ist gross und sie sind gerne bereit dafür zu zahlen, weil sie mit ihren eigenen Daten allein niemals zu so fundierten Erkenntnissen gelangen könnten.
Digitalisierung in verdaubaren Schritten
Die OERTLI Werkzeuge AG hat in verhältnismässig kurzer Zeit eine Digitalstrategie entwickelt. Gemäss CEO Jürgen Gabrielli spielte die Initiative Industrie 2025 dabei eine wichtige Rolle. Der Startschuss fiel mit dem kostenlosen Angebot eines QuickCheck-Workshops. Hier wurden Themen identifiziert, bewertet und priorisiert. Anschliessend erfolgte zusammen mit einem externen Partner eine detaillierte Entwicklung der Strategie. Auch Jürgen Gabrielli hat Tipps für die Teilnehmenden:
- alle Stakeholder ins Boot holen
- externe Partner beiziehen
- das interne Team wohlĂĽberlegt zusammenstellen
- Umsetzungsgeschwindigkeit realistisch ansetzen
Die META FACTORY
Daniel Wahler, CEO der Stoppani Contract Manufacturing, präsentierte ein ambitioniertes Projekt. Sie wollen zur virtuellen Fabrik für ihre Kunden werden, indem sie alle Material- und Informationsflüsse konsequent digitalisieren. Angestrebt wird ein datenbasierter End-to-End-Prozess ohne Medienbrüche, der dem Kunden Transparenz und Kontrolle über den gesamten individuellen Produktionsprozess ermöglicht und damit vor allem die Planbarkeit und Effizienz erhöht.
KĂĽnstliche Intelligenz: die Kollegin, die immer Zeit hat
Die M&F Engineering AG entwickelt Softwarelösungen im industriellen Bereich. CEO Reto Bättig zeigt auf, wie sie heute von KI profitieren und dadurch vor allem an Effizienz gewinnen und Kosten einsparen. Es geht dabei um Unterstützung für Tipparbeiten beim Programmieren, um Vorschläge, und Ideen für Software-Architektur oder auch um alternative Ideen, auf die man selbst nicht gekommen wäre. Weiter wird KI im Finanzbereich und der Zeiterfassung eingesetzt.
Andy Abgottspon, CEO Hazu, wiederum zeigte live, welche Möglichkeiten sich mit der Cloud-Plattform Hazu eröffnen, die Funktionen von verschiedenen Programmen aufgreift und zusammenbringt.
Industrie 4.0 im Reality-Check
Vertreter der vier Unternehmen W. Althaus AG, FAES-PWR ESTECH AG, Müller Martini und der eMDe Blechfabrik AG, standen bereits in früheren Jahren schon einmal auf der Bühne des Industrieforums 2025. Im Rahmen der Jubiläumsveranstaltung zogen sie Bilanz und stellten ihre heutige Situation in Relation zu den damaligen Ausführungen oder Plänen. Gemeinsam ist ihnen: Sie sind alle weiterhin auf Erfolgskurs, nicht zuletzt dank ihrer Flexibilität, mit der sie auf neue Entwicklungen reagieren und nötigenfalls Kurskorrekturen vornehmen.
Ab aufs Velo
Den Schlusspunkt setzte Reto Meyer, CEO Tour de Suisse Rad AG & Verwaltungsratspräsident Rent a Bike, mit der Präsentation über seine Reise vom Velovermieter und E-Bike-Hersteller zum digitalen Geschäftsmodell «Corporate E-Bike Sharing». Im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten wurde auch ein E-Bike verlost.