Die Schweiz (CSEM) hat die Führung des europäischen Forschungsprojekts PHABULOuS erhalten. Wie ist es dazu gekommen?
Dr. Rolando Ferrini: Heutzutage, mit dem zunehmenden Bedarf an Miniaturisierung und Integration, enthalten immer mehr Geräte in unserem täglichen Leben (Smartphones, Autos, etc.) mikrooptische Komponenten. Es handelt sich hier um einen riesigen Markt. Die konventionelle Mikrooptik ist vielseitig einsetzbar und auch sehr leistungsfähig. Gleichzeitig ist sie ausgereift. Vor zwei oder drei Jahren haben wir beim CSEM festgestellt, dass sich in diesem Technologiefeld eine neue Entwicklung abzeichnet, weg von Symmetriebeschränkungen hin zu Freiformen, welche alle Flächen und Freiheitsgrade nutzen. Parallel dazu stellten wir fest, dass in der Industrie ein grosses Interesse an dieser sogenannten Freiform-Mikrooptik vorhanden ist. Also sind wir aktiv geworden.
Wie sind Sie vorgegangen?
Wir haben beschlossen, die Voraussetzungen zu schaffen, um auf diesem Technologiegebiet Kompetenz aufzubauen und zu bündeln. 2018 haben wir eine «Core Group» gegründet, die europäisch aufgestellt ist. 2019 unterzeichneten wir ein «Memorandum of Understanding» mit allen 19 Partnern, darunter auch Unternehmer, die als Endbenutzer die Technologien implementieren.
So haben wir uns für das europäische Forschungsprojekt im Bereich Freiform-Mikroptik beworben und im Sommer 2019 dann auch den Zuschlag erhalten. Im Januar 2020 erfolgte die offizielle Aufnahme der Arbeiten und inzwischen wurde die rechtliche Grundlage geschaffen: die «PHABULOuS Pilot Line Association» mit dem Hauptsitz in der Schweiz.
Warum braucht es denn überhaupt ein europäisches Forschungsprojekt für diesen Technologiebereich?
Die Freiform-Mikrooptik eröffnet neuartige Leistungen und Funktionalitäten, ist aber gleichzeitig extrem anspruchsvoll. Es braucht eine Kombination von verschiedenen Wissensgebieten und Technologien, was die Wertschöpfungskette komplex macht. Am Anfang steht beispielsweise das Modellieren und die Simulation, um die optimale Form für die gewünschten Linsen zu finden. Dafür ist ein hohes mathematisches Verständnis nötig.
Wir produzieren mit UV-Prägung aus hochentwickelten Masterformen, zu deren Herstellung je nach Symmetrie und Dimension der angestrebten Strukturen verschiedene Hochpräzisionstechnologien eingesetzt werden können. Folglich erfordern die Herstellung der Werkzeuge, die Auswahl der geeigneten Materialien und die Entwicklung des Prägeprozesses spezifisches Know-how. Deshalb lässt sich eigentlich nur mit einer interdisziplinären und auch internationalen Kollaboration das Potenzial dieser Technologie auszuschöpfen. Hier setzt PHABULOuS an.
Wie genau?
Wir bauen eine Pilotlinie auf, welche auf europäischer Ebene die Kompetenzen der unterschiedlichen Technologie- und Einsatzbereiche zusammenbringt und die einzelnen Schritte der Wertschöpfungskette integriert. Wir möchten so zur Technologie-Plattform und zum Kontaktpunkt für Freiform-Mikrooptik in Europa werden und dadurch den Transfer zu den Unternehmern und Anwendern erleichtern.
Wie ist Ihr Vorgehen?
Wir haben bereits in der Bewerbungsphase untersucht, welche Märkte am vielversprechendsten sind und fünf identifiziert: Automobilbranche, Luxusgüter, Allgemeinbeleuchtung, Licht für Transportmittel, AR/VR. Entsprechend haben wir die Partner für die Pilotlinie ausgesucht. Hinzu kommen die Endnutzer, die Leader in ihren Märkten sind und ein Interesse daran haben, Komponenten der Freiform-Mikrooptik einzusetzen. Ihr Feedback zeigt uns, was wirklich gebraucht wird und funktioniert. Damit stellen wir sicher, dass unsere Aktivitäten unmittelbar im Markt zur Anwendung kommen. Ziel ist die Umsetzung von 20 industriellen Pilotprojekten.
Dieses Projekt wird durch das Forschungs- und Innovationsprogramm «Horizont 2020» der Europäischen Union unter der Fördervereinbarung Nr. 862156 gefördert.
Wie können weitere Unternehmen von PHABULOuS profitieren?
Stellen Sie sich vor, ein KMU möchte abklären, ob sich Komponenten der Freiform-Mikrooptik eignen, das eigene Produkt zu optimieren und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Sich fundiertes Know-how auf diesem komplexen Gebiet anzueignen ist sehr aufwendig. Dadurch wird es für das Unternehmen zu einer grossen Herausforderung, sich einen Überblick zu verschaffen und das Marktpotenzial für die eigenen Produkte zu identifizieren. Es besteht das Risiko, dass ein Betrieb entweder den Zugang zu diesen Technologien gar nicht erst findet oder aber, dass er das zusätzliche Business nicht erkennt, welches er haben könnte.
Was wir nun tun: Wir bauen dieses Know-how und entsprechende Services in der Pilotlinie auf und bieten den Unternehmen eine einzige Anlaufstelle für dieses Technologiefeld. Wir erleichtern ihnen dadurch einerseits den Zugang und ermöglichen andererseits beschleunigte Innovations- und Produktionszyklen sowie Unterstützung auf dem Weg vom Prototypen über den Pilotversuch bis hin zur Produktion von grossen Serien.
Und was geschieht nach der vierjährigen Förderperiode?
Es ist unser Ziel, dass die Pilotlinie und die Kontaktstelle nach dieser Zeit selbsttragend weiterbestehen. Wir möchten in der Weiterentwicklung der Technologien und deren Anwendungen einen nachhaltigen Beitrag für die Unternehmen leisten.
Das Forschungsprojekt PHABULOuS hat im Januar 2020 gestartet und wird während vier Jahren mit 15 Mio. Euro aus dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union unterstützt. Ziel ist der Aufbau einer Pilotlinie in der Freiform-Mikrooptik sowie einer Anlaufstelle für interessierte Unternehmen. Das Konsortium besteht aus 19 Partnern. Die Führung des Projekts liegt in Schweizer Händen.
Dr. Rolando Ferrini vom CSEM ist der Koordinator und steht fĂĽr Fragen gerne zur VerfĂĽgung, rolando.ferrininoSpam@csem.ch.
Unter https://phabulous.eu/ sind weitere Informationen zum Forschungsprojekt zu finden.