Das Interview wurde gefĂĽhrt von Coen Kaat, stv. Chefredaktor des IT-Markts
Inwiefern ist KI in der industriellen Fertigung heute noch Zukunftsmusik?
Robert Rudolph: Als Zukunftsmusik würde ich es inzwischen nicht mehr bezeichnen. Grundsätzlich gibt es aber in den industriellen Wertschöpfungsketten sehr unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten für Datenanalytik, die ich gerne der KI übergeordnet sehe. Es gibt Bereiche, wie neue Geschäftsmodelle oder Dienstleistungen, wo das Thema prominenter ist. In den traditionellen Prozessen bestehen ebenso grosse Potenziale. Es gibt aber noch erhebliche Hürden. Es fehlt teilweise das Verständnis bezüglich des erzielbaren Mehrwerts. Und es fehlt an Fachkompetenzen und Ressourcen.
Welche Möglichkeiten eröffnet die künstliche Intelligenz in der Industrie 4.0?
An der diesjährigen F&E-Konferenz von Industrie 2025 wurde eine ganze Reihe von konkreten Umsetzungen aufgezeigt. Im Kern geht es ja um Optimierungen aufgrund von frühzeitig verfügbaren Informationen oder um Informationen von höherer Qualität. Am verbreitetsten sind im Moment wohl Anwendungen, um den Unterhalt von Anlagen und Maschinen zu optimieren. Diese basieren auf Betriebsverlaufs- oder Zustandsdaten. Der Nutzen entsteht in der eigenen Fertigung oder über eine entsprechende Dienstleistung beim Kunden. Darüber hinaus tauchen zunehmend Einsatzmöglichkeiten bei der Mustererkennung auf. Das reicht von der Produktionssteuerung über die Produktionsüberwachung bis hin zur Qualitätskontrolle.
Welche Herausforderungen bringt die Nutzung von KI in dem Umfeld mit sich?
Beim Einsatz von KI-Systemen in Fertigungsprozessen fallen deutlich grössere Mengen an Daten an als im Konsumentenumfeld. Allerdings sind diese deutlich homogener als Personendaten. Zudem sind die Abhängigkeiten der Daten und Parameter in einer Produktionsumgebung sehr komplex. Die Ermittlung der korrekten Modelle und die laufende Verifikation der gelieferten Erkenntnisse sind somit eine grosse Herausforderung. Ein Unternehmen muss sich also nicht nur das Fachwissen zur Datenanalytik ins Haus holen. Es muss sich auch die Expertise aneignen, um die Datenanalytik mit der Anwendung zusammenzuführen, sodass der erwartete Mehrwert entstehen kann.
Wo sind die Grenzen der KI fĂĽr industrielle Anwendungen?
Ich glaube nicht, dass man von Grenzen sprechen kann. Aber es gibt Faktoren, die für den erfolgreichen Einsatz berücksichtigt werden müssen. Dazu gehören die Qualität und Vertrauenswürdigkeit der verwendeten Daten. Ein blindes Vertrauen in die Erkenntnisse der Datenanalyse ist selbstredend sehr gefährlich. Sicherheitsmassnahmen, die Fehlfunktionen und Schäden durch KI-geführte Maschinen und Anlagen unterbinden, sind essenziell. Die Vorgaben dazu sind zum Beispiel in den Maschinenrichtlinien enthalten. Es wird sicherlich auch Anwendungen geben, bei denen die Investitionen in die Implementierung und den Betrieb von Datenanalysesystemen zu gross werden und nicht mehr durch einen betrieblichen Nutzen gedeckt werden können.
Welche Chancen bieten sich fĂĽr Schweizer IT-Dienstleister in dem Umfeld?
Bei Datenanalytik und KI-Anwendungen in der Industrie werden die IT und die Produktionswelt eng miteinander verwoben. Das sehe ich als grosse Herausforderung. Die Projekte haben zwei Phasen: Die Konzeption der Anwendung und anschliessend die Implementierung der Lösung. Die IT-Dienstleister haben die Chance, neben den Datentechnologien auch zusätzliches Anwendungs-Know-how anzubieten. So werden für KMUs die Hürden tiefer.
Von welchen technologischen Trends profitiert die Industrie 4.0 derzeit am meisten? Und warum?
Digitale Technologien prägen die Industrie schon lange. Die Vielfalt der Technologien, die bereits eingesetzt werden, ist überwältigend. Die Treiber sind aber immer Anwendungsfälle, die einen konkreten Nutzen für das Unternehmen oder den Kunden bringen. Ich glaube aber, dass die heute verfügbaren Cloud-Angebote mit integrierten Funktionalitäten die Hürden für viele Anwendungen und Konzepte von Industrie 4.0 deutlich gesenkt haben. Ob es sich um Konzepte wie Digital Twins handelt, die aktuell hervorgehoben werden, oder um Condition Monitoring und Datenaustausch mit Kunden: Dem Anwender werden kritische Aufgaben, wie zum Beispiel Sicherheit, abgenommen.
Unter diesem Link finden Sie weitere Interviews zum Thema https://www.it-markt.ch/interviews/2020-03-25/wie-die-industrie-daten-zu-nutzen-verarbeitet
Zur Person
Bevor Robert Rudolph 2012 in die Geschäftsleitung des Branchenverbandes Swissmem eingetreten ist, leitete er die Technologietransferstelle des grössten Forschungszentrums der Schweiz, dem Paul Scherrer Institut. Davor war er in F&E- und Technologiemanagementstellen in der Maschinen- und Elektroindustrie tätig, sowohl bei Start-up-Firmen, wie bei Grossunternehmen. Er studierte Elektrotechnik an der ETH Zürich und hat an der gleichen Hochschule ein Nachdiplomstudium in Betriebswissenschaften absolviert.