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«Erwarten Besserung im nächsten Jahr»

Der Chefvolkswirt Bernhard Geis ist seit über 30 Jahren für den Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken e.V. (VDW) tätig. Beim 22. Swissmem Symposium, welches am 29. August 2024 unter dem Motto «Nachhaltigkeit – Pflichten und Chancen der Tech-Industrie» im Lake Side Zürich stattfindet, wird er als Referent auftreten. Grund genug, um ihm im Exklusiv­interview der «Technischen Rundschau» bereits im Vorfeld ein paar Fragen zu stellen.

Herr Geis, wie schätzen Sie die aktuelle Wirtschaftslage generell und speziell in Deutschland ein?

Bernhard Geis: Die Weltwirtschaft ist derzeit in einer Schwächephase und die Industrie hält sich mit Investitionen zurück. Die Nachholeffekte nach der Corona-Pandemie sind vorüber. Liefer­engpässe führten zu ersten Preissteigerungen und der russische Angriffskrieg in der Ukraine mit der folgenden Energiekrise hat eine drastische Inflation hervorgebracht. Daraus folgten deutliche Zinsanstiege in Europa und den USA. Hinzu kommt China, das sich nach Corona nicht richtig erholt hat und mit einer tiefen Immobilienkrise kämpft.

Für Deutschland sind drei Aspekte besonders relevant: Als exportintensive Nation ist Deutschland von der weltweit schwachen Industrienachfrage besonders betroffen. Aus-serdem belastet die Verteuerung der Energie wichtige, energieintensive Branchen wie die Chemie. Und drittens steckt Deutschland als Automobilnation im strukturellen Wandel des Transformationsprozesses hin zur Elektromobilität.

Was ergibt sich daraus für die konjunkturelle Lage der deutschen Werkzeugmaschinenindustrie und ihre Position auf dem Weltmarkt? 

Bernhard Geis: Seit vergangenem Jahr sind die Aufträge für die deutschen Werkzeugmaschinenhersteller deutlich rückläufig, um gut zehn Prozent, und dieser Trend hält bis heute an. Der Umsatz konnte dagegen bei sehr guten Auftragsbeständen 2023 um neun Prozent gesteigert werden. Im aktuellen Jahr werden wir aber auch hier Verluste nicht vermeiden können. Die Nachfrage in Deutschland und aus Europa insgesamt ist schwach. Während das Projektgeschäft noch einigermassen läuft, schwächelt das Geschäft in der Breite. Viele kleine und mittel­ständische Kunden halten sich aufgrund der Un­sicherheit, der höheren Zinsen und der gestiegenen Kosten mit Investitionen zurück. Auch die Geschäfte mit Asien und China sind schwierig, nur die USA und Mexiko stellen eine Stütze dar. Beides sind gefragte Investitionsstandorte.

Wie gestaltet sich die wirtschaftliche Lage der Branche weltweit und speziell in der Schweiz?

Bernhard Geis: Letztlich spüren alle Werkzeugmaschinenhersteller in der Welt zurzeit die Investitionsschwäche und vermelden rückläufige Aufträge. Eine durchgreifende Besserung erwarten wir erst im nächsten Jahr, wenn sich die Weltwirtschaft mit Unterstützung sinkender Zinsen wieder belebt. Spannend ist die Frage, ob und wie China wieder zurückkommt. Die Regierung hat auf jeden Fall Programme zur Modernisierung der Industrie angekündigt. Auch die Schweizer Werkzeugmaschinenhersteller berichten von einem deutlichen Auftragsrückgang, gerade im Ausland. Nur in der Schweiz selbst ist die Lage stabiler, da die Kunden von vergleichsweise niedrigeren Preissteigerungen und Zinsen profitieren.

Welche Stellung nimmt die Schweizer Branche im Weltmarkt ein?

Bernhard Geis: Weltweit geht an China kein Weg vorbei. Trotz der aktuellen Probleme im eigenen Land bleibt China gemäss den neuesten Daten aus der VDW-Weltstatistik für das Jahr 2023 mit Abstand der grösste Produzent und hält einen globalen Anteil von 31 Prozent. Deutschland folgt als Nummer 2 mit 13 Prozent, danach kommt Japan mit elf Prozent. Auch die Schweiz spielt eine wichtige Rolle. Mit 3,5 Prozent belegt sie immerhin Platz 8 und ist nach Deutschland und Italien Europas drittgrösster Hersteller. Bekanntermassen ist die Schweiz ein starkes Exportland. Weltweit liegt sie hier sogar auf Platz 6. Exportweltmeister ist Deutschland mit 17 Prozent Anteil an den weltweiten Ausfuhren. China rückt aber immer näher und ist nur noch einen Prozentpunkt entfernt.

Welche Treiber sehen Sie für die Branchen Mobilität, Klimaschutz, Verteidigung, Digitalisierung usw.?

Bernhard Geis: Einer der grundsätzlich grossen Treiber ist die E-Mobilität, da stark in den Aufbau von Produktionskapazitäten investiert wird. Allerdings hat sie derzeit einen Dämpfer erlitten, da die Konsumenten noch nicht richtig überzeugt sind, preiswerte Modelle fehlen und beispielsweise in Deutschland aus Budgetgründen die Förderung zum 1. Januar gestoppt wurde. Der Klimaschutz und die Energiewende gehören ebenfalls zu den ganz grossen Trends. Windräder, Wärmepumpen und Wasserstoffelektrolyseure enthalten viele relevante Bauteile, für die Werkzeugmaschinen benötigt werden. Digitalisierung, Vernetzung, Automatisierung und aus gesellschaftlicher, humaner Sicht leider auch die Verteidigung bieten ebenfalls Wachstumspotenzial.

Vor welchen Herausforderungen steht die Werkzeugmaschinenindustrie aktuell und wie begegnet der VDW diesen Herausforderungen?

Bernhard Geis: Es gibt drei ganz grosse Herausforderungen und ich betrachte dies jetzt aus der Brille Deutschlands und Europas insgesamt: Alle Unternehmen beklagen die hohe Bürokratie und aufwendige Berichtspflichten. Das Lieferkettengesetz und die Corporate Sustainability Reporting Directive sind nur zwei von vielen Beispielen. Wenn die Politik dies nicht erkennt und handelt, ist die internationale Wettbewerbs­fähigkeit in grosser Gefahr. Die geopolitischen Unsicherheiten und das Decoupling China – USA stellen die Firmen vor strategische Herausforderungen. Die grossen Unternehmen tendieren immer mehr zu ‹local für local›. Aber was machen die Kleinen? Und Nummer 3 ist der demographisch begründete Fachkräftemangel, der auch andere alternde Gesellschaften wie Japan und China betrifft. Bei allen Themen unterstützt der VDW die Firmen in speziellen Arbeitsgruppen, mit der Erstellung von Informationsmaterial und Mustervorlagen und nicht zuletzt über die stark ausgebaute Nachwuchsstiftung.

Wo sehen Sie die grössten Chancen der Werkzeugmaschinenindustrie?

Bernhard Geis: Die grossen Trends E-Mobilität und Klimaschutz beziehungsweise Energiewende bieten der Werkzeugmaschinenindustrie grosse Chancen. Dazu gehört auch die Digitalisierung in zweierlei Hinsicht. Zum einen bezogen auf den Aufbau von weiteren Kapazitäten für die Chipproduktion – hier spielt die Werkzeugmaschine in der Wertschöpfungskette eine Rolle. Aber auch der Werkzeugmaschinenhersteller selbst wandelt sich vom Anbieter mit Fokus auf die Hardware zum Komplettanbieter. Im Ideal­fall bietet er insbesondere den kleineren und mittleren Kunden eine komplette Fertigungslösung mit Digitalisierung und Vernetzung von der Auftragsannahme über die Fertigung selbst bis hin zum Versand. Daran schliesst sich ein umfangreicher After-Sales-Service an. Das Thema Vernetzung bringt der VDW mit seiner umati-Initiative voran (Anm. d. Red.: universal machine technology interface). Offene Schnittstellenstandards auf Basis von OPC UA ermöglichen, dass Maschinen und Anlagen untereinander kommunizieren oder in kunden- und anwenderspezifische IT-Ökosysteme integriert werden können.

Ein Blick in die Glaskugel: Wie wird sich die Werkzeugmaschinenindustrie mittel- bis langfristig weiterentwickeln?

Bernhard Geis: Die Werkzeugmaschinenbranche muss sich strukturellen Veränderungen stellen. Der zunehmende Wegfall des konventionellen Powertrains im Auto kostet viel Zerspanungsvolumen. Dafür entstehen an anderen Stellen auch wieder neue Chancen, die es zu nutzen gilt. In reiferen, entwickelten Volkswirtschaften geht der Trend sicher zu mehr Automatisierung und Digitalisierung, was durch den Fach- beziehungsweise Arbeitskräftemangel noch weiter forciert wird. Andererseits gibt es Regionen mit Schwellenländern, die sich weiterentwickeln und eigene Industrien auf- und ausbauen wollen. Dazu gehören die ASEAN-Region und In­dien, langfristig auch Teile Afrikas. Solche Regionen bieten einiges an Wachstumspotenzial.

Welche Herausforderungen und Chancen sieht der VDW für die Werkzeugmaschinenindustrie mit Blick auf das Thema Nachhaltigkeit?

Bernhard Geis: Deutsche Unternehmen und Wissenschaftler haben zahlreiche Lösungen für nachhaltigere Produktion und energieeffiziente Fabriken entwickelt, und noch sind wir international Vorreiter in diesem Bereich. Das ist die einmalige Chance, mit neuen Geschäftsmodellen den Markt zu erobern: mit nachhaltig arbeitenden Maschinen oder mit Serviceleistungen, die den Bestand der Kunden nachhaltiger zu gestalten helfen. Klimaneutrale Fabriken und Kreislaufwirtschaft könnten ein Exportschlager werden. Die Herausforderung ist, die bestehenden Lösungen in die Breite zu tragen.

Die Umsetzung von Nachhaltigkeit ist ein kontinuierlicher Prozess. Es muss nicht alles von Anfang an perfekt sein, aber die Themen rund um die Nachhaltigkeit werden auch nicht wieder einfach verschwinden. Insofern: Wo finden Unternehmen Unterstützung, wenn sie sich dem Thema Nachhaltigkeit nähern oder konkrete Fragen dazu haben?

Bernhard Geis: Den Mitgliedern des VDW stehen die Kompetenzen der Geschäftsstelle zur Seite. Zudem haben wir die Homepage www.emo-hannover.de zu einer Art Plattform weiterent­wickelt, auf der zahlreiche Informationen und Unterstützung für die Transformation zu finden sind. Auch im VDW-Podcast ‹Tech Affair – Industry for Future› werden immer wieder nachhaltige Themen besprochen. Und nicht zuletzt hat die Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik, kurz WGP, mit der wir eng kooperieren, eine Effizienz­initiative gestartet, die sehr praktische Tipps zur Energie­einsparung gibt. Weitere Informationen hierzu sind auf der Website www.wgp.de/effizienzinitiative zu finden.        

Das Interview führte Joachim Vogl, Chefredaktor Technische Rundschau
Es handelt sich um eine gekürzte Version.

 

22. Swissmem
Symposium 2024

«Nachhaltigkeit – Pflichten und Chancen der Tech-Industrie»

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Letzte Aktualisierung: 24.06.2024