Die Schweiz ist nicht EU-Mitglied. Warum engagiert sich Swissmem dennoch bei Orgalim?
Stefan Brupbacher: Europa ist unser wichtigster Werte- und Wirtschaftsraum. Der Ukrainekrieg sollte uns dies unmissverständlich vor Augen geführt haben. Die Zusammenarbeit mit der EU muss deshalb rasch weiterentwickelt werden. Das darf nicht an Detailfragen scheitern. Das gilt insbesondere auch für die wirtschaftliche Kooperation. Fast 60% der Exporte unserer Branche gehen nach Europa. Zusammen mit den unmittelbar angrenzenden Regionen in Deutschland, Österreich und Italien bildet die Schweiz den «Alpine Industrial Cluster» – eines der weltweit führenden Zentren der Fertigungsindustrie. Diese wird immer wichtiger. Ob Dekarbonisierung, Medizin oder Kreislaufwirtschaft: die Herstellung von neuen Gütern auf möglichst effiziente und nachhaltige Art entscheidet über den Wohlstand.
In welchen Bereichen und Themen ist Swissmem bei Orgalim aktiv?
Meine Kolleginnen und Kollegen von Swissmem sowie auch aus unseren Mitgliedfirmen sind in vielen Gremien von Orgalim aktiv. Wir setzen uns ein, dem regulatorischen Tsunami der EU-Kommission in den Bereichen Maschinenrichtlinie, Kreislaufwirtschaft, Umwelt- und Energiefragen Einhalt zu gebieten. Ein weiteres wichtiges Handlungsfeld ist die EU-Handelspolitik, insbesondere das Thema der Stahl- und Aluminiumzöllen gegen Drittstaaten wie die Schweiz. Darüber hinaus geht es generell darum, der Industrie in der europäischen Politik ein höheres Gewicht zu verleihen.
Was ist der konkrete Nutzen für Schweizer Industrieunternehmen bzw. für den Industriestandort Schweiz?
Wer Güter exportieren will, muss die im Zielmarkt geltenden Regeln einhalten. Das gilt für die USA, China und die EU gleichermassen. Über die Arbeit bei Orgalim können wir die Entwicklung dieser Regeln in der EU beeinflussen. Dazu ein Beispiel: Im Rahmen der «Taxonomie» will die EU bestimmen, welche Technologien künftig von Banken billigere oder teurere Kredite erhalten können – abhängig davon, wie stark sie zur Dekarbonisierung beitragen. Die Industrie war diesbezüglich von NGOs lange als «Feind» betrachtet worden. Nun ist es uns gelungen, der EU-Kommission aufzuzeigen, dass die Produkte unserer Branche bei der Dekarbonisierung die Lösungen bringen und nicht das Problem darstellen. Noch gibt es viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Aber in solchen Gremien werden wichtige Entscheide über die Zukunft der Industrie in Europa und damit auch in der Schweiz gefällt. Schliesslich können uns Organisationen wie Orgalim helfen, im bilateralen Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU eine für beide Seiten tragbare Lösung zu unterstützen – sobald die Schweiz endlich weiss, wie sie die institutionellen Fragen regeln will.
In welchen Bereichen können Sie als Vertreter eines Drittstaates Akzente setzen?
Europa ist nicht nur die EU, sondern umfasst auch Grossbritannien, Norwegen, die Türkei und die Schweiz. Wir bringen eine Aussensicht ein und können dazu beitragen, dass sich die EU nicht in eine protektionistische Festung verwandelt, sondern ihren Erfolg weiterhin über Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und globalen Handel anstrebt. Das macht Europa zum sozio-ökonomisch überlegenen System gegenüber zunehmend autoritären Regimes. Europa hat hier eine historische Verantwortung. Mit dem Ökonomen und Politologen Hayek ausgedrückt: Nichts hat die grosse Wirtschaftsdepression so stark verstärkt, wie die Rückkehr zum Protektionismus. Und die Wirtschaftsdepression Ende der 1920er-Jahre bildete eine Grundlage für Nationalsozialismus, Krieg und unglaubliche Zerstörung. Dieser Verantwortung sind sich die Verbände unter dem Dach von Orgalim bewusst!
Welche Ziele haben Sie sich für ihre Amtszeit als Chairman gesteckt?
Einen Beitrag leisten, damit die europäischen Verbände noch enger zusammenrücken und wir den Politikern in Brüssel noch besser die Bedeutung der Industrie als Lösungsbringer für die Herausforderungen unserer Zeit aufzeigen können.