Welche Verbindung haben Sie zur Schweiz?
Michel Barnier: Zunächst natürlich die Nähe zu den Alpen! Ich hatte das Glück, siebzehn Jahre lang das Departement Savoie leiten zu dürfen. Zusammen mit der Haute-Savoie grenzen wir in dieser Provinz direkt an die Schweiz. Die zweite Verbindung zur Schweiz ist sportlicher und olympischer Natur. Zusammen mit Jean-Claude Killy war ich zehn Jahre lang Co-Präsident des Organisationskomitees der XVI. Olympischen Winterspiele in Albertville und Savoyen. Mit dem IOC und seinem damaligen Präsidenten Juan Antonio Samaranch und den internationalen Sportverbänden, insbesondere Marc Hodler (damaliger Präsident des FIS – Internationalen Skiverbandes), pflegten wir eine langjährige, vertrauensvolle Beziehung, mit einer gemeinsamen Leidenschaft für die Berge und den Wintersport. Und nicht zuletzt hatte ich in verschiedenen Phasen meiner Verantwortung als französischer Minister und EU-Kommissar oft die Gelegenheit, die Schweizer Bundespräsidenten und Mitglieder des Bundesrates zu treffen.
Wo sehen Sie Parallelen zwischen den Verhandlungen der EU mit Grossbritannien und jenen mit der Schweiz?
Gemeinsam ist diesen Verhandlungen natürlich ihre rechtliche und wirtschaftliche Komplexität und die Bedeutung des politischen Kontexts. In anderen Aspekten unterscheiden sie sich. Die Briten waren Vollmitglieder der Europäischen Union und des Binnenmarkts. Sie haben sich freiwillig für den Ausstieg entschieden. Bei den Verhandlungen wollten sie dann aber natürlich die Vorteile des Binnenmarkts behalten und sich gleichzeitig von allen Verpflichtungen befreien. Was natürlich so nicht möglich war. Sie entschieden sich also für den Ausstieg und trugen die Konsequenzen ihrer Entscheidung. Mit der Schweiz hingegen befinden wir uns seit Langem in einem Prozess des konstruktiven Dialogs der Zusammenarbeit und hoffentlich auch der Annäherung in Form des gegenseitigen Respekts. Nun gilt es die zahlreichen Vereinbarungen, die uns verbinden, zu aktualisieren und gemeinsam sicherzustellen, dass diese besser umgesetzt werden. Dies ist natürlich auch eine Herausforderung, aber eine viel positivere.
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Wo sehen Sie die «roten Linien der EU»? Oder anders gefragt: Wo sehen Sie Verhandlungsspielraum?
Die Verhandlungen wurden nun auf der Grundlage eines wichtigen Dokuments, des «Common Understanding», mit der Zustimmung und einem neuen Mandat des Ministerrats vom März 2024 und des Bundesrats auf Schweizer Seite wieder aufgenommen, da beide die Auffassung teilen, dass Fortschritte möglich sind: ein Gesamtpaket all unserer Abkommen und schliesslich eine konstruktive Vereinbarung zwischen uns. Momentan sind elf verschiedene Verhandlungen im Gange. Auch wenn ich nicht mehr in der Europäischen Kommission bin, weiss ich, dass die Gespräche derzeit schwierig sind, insbesondere was die Freizügigkeit und die Einschränkungen für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts betrifft. Aber auch hier ist die Dynamik konstruktiv. Denn wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.