Vor einigen Wochen hat der Bundesrat den Entwurf des seit Jahren verhandelten Rahmenabkommens weiten Kreisen zur Prüfung vorgelegt. Die Prüfung ist juristisch komplex. Nicht verwunderlich hat sich sofort vielfältiger Widerstand formiert. Doch nicht jede Befürchtung erweist sich effektiv als Bedrohung. Entsprechend sorgfältig muss die Kommunikation möglicher Risiken sein. Ansonsten werden jene unterstützt, die das Rahmenabkommen grundsätzlich bekämpfen.
Bei aller Prüfung konkreter Auslegungsfragen darf der Blick aufs Wesentliche nicht verloren gehen: Die EU ist der wichtigste Absatzmarkt der Schweiz und insbesondere auch der MEM-Industrie. Unsere Unternehmen sind aufs engste mit dem benachbarten Ausland verbunden. Zur Sicherung von Jobs und Wohlstand müssen wir dafür sorgen, dass wir weiterhin am EU-Binnenmarkt teilnehmen können. Dafür brauchen wir das Rahmenabkommen. Es sichert und modernisiert den bilateralen Weg, schafft Rechtssicherheit für hier tätige und investierende Unternehmen und reduziert unsere Angriffsfläche vor ungerechtfertigten Druckversuchen der EU.
Das Volk hat stets das letzte Wort
Das Rahmenabkommen betrifft fĂĽnf heutige sowie alle kĂĽnftigen Marktzugangsabkommen. In diesen Bereichen wird die Schweiz im Rahmen unserer Gesetzgebungsmechanismen entscheiden, ob wir neues EU-Recht ĂĽbernehmen wollen oder nicht (dynamische RechtsĂĽbernahme). Das Referendumsrecht bleibt bestehen - das Volk hat auch kĂĽnftig das letzte Wort.
Falls Regierung, Parlament oder Volk eine Änderung nicht übernehmen wollen, hat das – wie alles im Leben – seinen Preis: Die EU kann Ausgleichsmassnahmen ergreifen. Diese müssen aber verhältnismässig sein. Diese Verhältnismässigkeit prüft ein Schiedsgericht. Schikanen wie etwa die Nichtgewährung der Börsenäquivalenz sind künftig ausgeschlossen. Neu kann sich die Schweiz in den fünf Abkommen ebenfalls gegen Diskriminierungen durch EU-Mitgliedsstaaten gerichtlich wehren.
Auch der Lohnschutz in der Schweiz bleibt gewahrt: Das Abkommen sieht bei drei zentralen flankierenden Massnahmen (FlaM) völkerrechtlich abgesicherte Ausnahmen vor. Diese Massnahmen sind immun gegen eine Rechtsfortentwicklung der EU. Sie sind vor Interpretationen durch Bundesgericht oder Schiedsgericht geschützt. Allerdings haben wir bei der Voranmeldefrist für Entsandte nur noch vier Arbeitstage Zeit zur Vorbereitung der Kontrollen. Das ist aber mit besserer Organisation und zeitgemässer IT machbar. Die Schweiz kann zudem die FlaM weiterentwickeln, sofern dies nichtdiskriminierend und verhältnismässig erfolgt.
Verbesserungen notwendig
Würde heute abgestimmt, wäre das Abkommen kaum mehrheitsfähig. Das kann und muss sich ändern. Dazu müssen sich die lösungsorientierten Kräfte aus Verbänden, Organisationen und Parteien auf eine Handvoll Punkte einigen, in der es Klärungen und Verbesserungen braucht. Aus Sicht der MEM-Industrie braucht es eine explizite Bestätigung der bereits im EU-Recht verankerten Möglichkeiten der Kontrolle der FlaM durch die Sozialpartner sowie neuer, verhältnismässiger FlaM in ausserordentlichen Situationen. Zudem braucht es eine Rechtssicherheit herstellende Klärung bezüglich der Unionsbürgerrichtlinie und der Steuerhoheit der Schweiz. Schliesslich ist zu klären, dass das zu erneuernde Freihandelsabkommen von 1972 nicht auch der Guillotineklausel untersteht.
Die Schweiz muss wissen, was sie will
Für gewisse dieser Punkte wird es Diskussionen auf höchster Ebene zwischen Bundesrat und Brüssel brauchen. Dass sich die EU dagegen wehrt, ist wohl eine Mischung von Prinzip und Taktik. Ob diese Diskussionen Erfolg haben, könnte durchaus von der Allianz lösungsorientierter Kräfte abhängen: Denn die EU verfolgt den um das Rahmenabkommen entbrannten Streit genau. Diskussionen mit der Schweiz wird sie nur führen, wenn die Schweiz weiss, was sie will.
Falls sich die Allianz auf eine Handvoll zu klärender und zu verbessernder Punkte einigen kann und sie sich mit öffentlichen Grundsatzbekenntnissen für das Rahmenabkommen engagiert, wird dem Bundesrat der Rücken in Diskussionen mit der EU gestärkt. Zudem wird der EU das Vertrauen vermittelt, dass sich Zugeständnisse lohnen.
Nach dem Nein zum EWR im Jahr 1992 war unser Land gespalten. Es folgte eine Phase der Stagnation bis zum Befreiungsschlag der bilateralen Verträge. Diese sind seither der einzig mehrheitsfähige Weg. Daran wird sich auch künftig nichts ändern. Entsprechend gross ist unsere Verantwortung, die Bilateralen auch für die Zukunft zu sichern. Das wird von allen Seiten Zugeständnisse verlangen. Zudem müssen Verbände und Politik den Mut beweisen, sich selbst im Wahljahr nicht um schwierige Entscheide zu drücken. Mit der frühen Positionierung Ende 2018 und dem Aufruf zur Bildung einer Allianz lösungsorientierter Kräfte übernimmt Swissmem ihren Teil dieser Verantwortung.
Dr. Stefan Brupbacher, Direktor Swissmem