Der Ukraine-Krieg hat die Energiepreise explodieren lassen. Mittlerweile sind sie zwar wieder deutlich gesunken. Sie liegen aber weiterhin klar über den Preisen der vergangenen fünf Jahre und bedeutend höher als in vielen asiatischen Ländern sowie den USA. Zudem besteht kriegsbedingt eine hohe Unsicherheit bezüglich der künftigen Preisentwicklung in Europa. Energieintensive Firmen in Europa sind deshalb immer weniger wettbewerbsfähig. Vor diesem Hintergrund unterstützen verschiedene EU-Staaten diese Unternehmen mit massiven Subventionen, indem sie die Energiepreise auf verschiedene Arten künstlich senken.
Energieintensive Firmen in der Schweiz erzielen oft einen wesentlichen Anteil ihres Umsatzes in der EU, stehen mit Importen aus der EU in Konkurrenz oder befinden sich sogar im globalen Standortwettbewerb. Weil die Schweiz keine analogen, industriepolitischen Massnahmen wie die EU kennt, haben energieintensive Betriebe in der Schweiz mit massiven Wettbewerbsnachteilen zu kämpfen. Einzelne Firmen erhalten aufgrund des Energiekostennachteils bereits keine Aufträge mehr. Bei anderen Firmen fallen Investitionen in den hiesigen Produktionsstandort weg. Diese Firmen befinden sich derzeit in existenziellen Schwierigkeiten. Der Schweizer Standort ist infrage gestellt.
Die Nachteile für die Schweiz liegen nicht nur im möglichen Verlust von Arbeitsplätzen. Wichtiger ist die zentrale Bedeutung verschiedener Firmen für die Produktions- und Lieferketten in der Schweiz. So verarbeiten die Stahlwerke sämtlichen hier anfallenden Schrott zu neuem Stahl. Ohne die Stahlwerke müsste der Schrott teuer und umweltbelastend ins Ausland transportiert und dann in Form neuer Produkte wieder importiert werden. Bei Bau- und Industriestahl würde die Schweiz abhängig vom Ausland. Ähnliche Gründe können bei vielen energieintensiven Firmen ins Feld geführt werden.
Auch wenn die historische Erfahrung zeigt, dass industriepolitische Massnahmen mittel- und langfristig bestenfalls nichts bewirken, stellt sich für die Schweiz die Frage, wie sie auf diese Wettbewerbsverzerrungen reagieren soll. Es droht ein unverschuldeter Verlust an industrieller Substanz in grossem Ausmass samt negativer Nebeneffekte im Rohstoffkreislauf. Es gilt deshalb rasch und sorgfältig abzuwägen, welche staatlichen Massnahmen geeignet sind, um die negativen Auswirkungen der EU-Politik auf die betroffenen Unternehmen in der Schweiz abzuwenden.
Staatliche Handlungsspielräume nutzen
Bei der Suche nach Lösungen steht die Verbesserung der Rahmenbedingungen im Vordergrund:
- Das Instrument der Kurzarbeit ist auch für Nachfrageeinbrüche nutzbar zu machen, die sich als Folge industriepolitisch verursachter Preisverzerrungen im Ausland ergeben. Auch wenn damit nicht das gesamte Problem gelöst werden kann, ist es ein willkommener Beitrag zur Unterstützung der betroffenen Firmen.
- Die Tarife für das Übertragungsnetz steigen ab 2024 um rund 1,8 Rp./kWh. Darin enthalten sind 1,2 Rp./kWh für die Kosten des Bundes zur Schaffung einer Stromreserve, mit welcher eine Mangellage abgewendet werden soll. Für energieintensive Betriebe mit einem Stromverbrauch von weit über 100 GWh jährlich führen diese Tariferhöhungen zu Zusatzkosten in Millionenhöhe, die sich nicht auf die Kunden überwälzen lassen. Stossend ist, dass auch jene energieintensiven Betriebe diese Abgaben zahlen müssen, die nicht von einer Aktivierung der Stromreserve profitieren würden. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass bereits vor einer Strommangellage das Strompreisniveau derart stark ansteigt, dass Betriebe nicht mehr wirtschaftlich produzieren können und daher ihre Produktion – und damit auch den Stromverbrauch – herunterfahren. Entsprechend würde auch die Dimensionierung der Stromreserve kleiner ausfallen, was wiederum die Reservekosten für alle Verbraucher senkt.
Der Bund hat zur Schaffung einer Stromreserve mit der Wasserkraftreserve und den Reservekraftwerken bisher einseitig auf teure Massnahmen der Stromproduzenten gesetzt. Mit einem Lastabwurf können aber auch Energieintensive einen massgeblichen präventiven Beitrag zur Verhinderung einer Mangellage leisten. In Analogie zur Wasserkraftreserve sollten sich Energieintensive frühzeitig verpflichten können, ihren Stromverbrauch im Falle einer schweren Strommangellage substanziell zu reduzieren. Weil diese Unternehmen ihren Verbrauch im Falle einer Mangellage einschränken, verhalten sie sich faktisch wie ein Anbieter einer Stromreserve. Sie müssen deshalb auch von stromreservebedingten zusätzlichen Kosten des Übertragungsnetzes befreit werden.
- Darüber hinaus wird es weitere Massnahmen brauchen, um die begrenzte Anzahl energieintensiver Firmen zu unterstützen. Sie dürfen nicht unverschuldet Opfer der verzerrenden Industriepolitik verschiedener EU-Mitgliedstaaten werden. Im Vordergrund steht der Bund gemeinsam mit den betroffenen Kantonen in der Verantwortung, eine Lösung für diese Firmen zu finden. Insbesondere sind die Kantone auch die Standorte der gefährdeten Unternehmen. Als Eigentümer der Stromunternehmen dürften die Kantone mittelfristig mit erheblich höheren Dividendeneinnahmen rechnen. Es wäre daher politisch unverständlich, wenn sie als Folge der hohen Strompreise von hohen Gewinnausschüttungen ihrer Stromfirmen profitieren und gleichzeitig energieintensiven Betrieben, die in ihrem Hoheitsgebiet in existenzielle Bedrängnis geraten, nicht zur Hilfe eilen würden.
Als Lösungsansatz wäre denkbar, dass die Kantone gemeinsam ihre Stromfirmen avisieren, den bedrängten Firmen unter Einhaltung bestimmter Bedingungen und über einen begrenzten Zeitraum Strom zu Gestehungskosten (plus eine normale Gewinnmarge) zu liefern.
Letztlich stehen die Kantone auch aus Eigeninteresse in der Verantwortung. Energieintensive Firmen bieten Arbeitsplätze und generieren direkt und indirekt Steuereinnahmen. Sie sollten ihre Handlungsspielräume zum Erhalt guter Standortbedingungen für die ansässigen energieintensiven Unternehmen nutzen.