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Stromgesetz und Blackout-Initiative sind keine Gegensätze

Auf der energiepolitischen Agenda stehen zwei Vorlagen, die auf den ersten Blick als fundamentale Gegensätze wahrgenommen werden könnten – das Stromgesetz, über das am 9. Juni 2024 abgestimmt wird, und die Blackout-Initiative, die vor kurzem eingereicht worden ist. Das trifft jedoch nicht zu. Für eine sichere, wirtschaftlich tragbare und klimaneutrale Stromproduktion braucht es sowohl mehr Erneuerbare als auch die Aufhebung des KKW-Neubauverbots.

Das Stromgesetz zielt bekanntlich darauf ab, die inländische Stromproduktion insbesondere aus Wasserkraft, Photovoltaik und Windenergie mit gezielten Unterstützungsmassnahmen (Subventionen, Verfahrensbeschleunigungen) massiv zu steigern. Angesichts der fortschreitenden Dekarbonisierung und damit zunehmenden Elektrifizierung sowie der zunehmenden Winter-Importabhängigkeit ist ein Zubau im Inland dringend nötig. Dem Stromimport sind systemtechnische Grenzen gesetzt. Zudem sollten wir uns nicht allzu fest darauf verlassen, dass unsere Nachbarstaaten auch längerfristig im Winter strukturell Strom exportieren können. Diese Länder stehen nämlich vor der gleichen Herausforderung zur Dekarbonisierung wie die Schweiz mit ihrem entsprechenden Mehrbedarf an Strom.

Gegen das Stromgesetz ist aus landschaftsschützerischen Kreisen das Referendum ergriffen worden. Hauptkritikpunkt ist die Beeinträchtigung des Natur- und Landschaftsschutzes, wenn Grossanlagen wie alpine PV-Anlagen oder Windparks errichtet werden. Das ist widersprüchlich und untergräbt deren Glaubwürdigkeit, sind es doch teilweise die gleichen Kreise, die – grundsätzlich, jedoch losgelöst von spezifischen Projekten – stets die Förderung der Erneuerbaren verlangen.

Trotzdem muss die Argumentation der Gegner des Stromgesetzes ernst genommen werden. Die Schweiz hat ein Winterstromproblem. Sollen die Erneuerbaren wie PV und Wind wirklich einen Beitrag zur Stromproduktion im Winter leisten, dann werden diese Anlagen aus meteorologischen Gründen typischerweise in den Bergen stehen müssen (oberhalb der Nebelgrenze, mehr Wind im Alpenraum). Das Landschaftsbild wird dadurch grundsätzlich verändert.

Landschaftsschutz folgt einem subjektiven Empfinden, ist also letztlich Geschmackssache. Es mag Ausnahmen geben, die meisten Menschen scheinen solche Grossanlagen jedoch als «Landschaftsverschandelung» zu betrachten. Nur so lässt sich der massive lokale Widerstand gegen konkrete Projekte erklären. Verschiedene Windkraftprojekte wie auch alpine PV-Grossanlagen sind bereits gescheitert. Dieser Widerstand ist nicht etwa ein Phänomen, das sich auf die Land- und Bergbevölkerung beschränkt. Würde man beispielsweise im Seebecken der Stadt Zürich einen Windpark erstellen wollen, würde sich die ansässige Bevölkerung genauso wehren.

Die heutige Diskussion um den Natur- und Landschaftsschutz wäre ohne den Abbruch der Pläne für den Bau von zwei neuen Kernkraftwerken nach Fukushima 2011 kaum entstanden. Rechnet man mit einer Realisierungszeit von 20 Jahren, hätte man diese Werke Mitte der 30er Jahre in Betrieb nehmen können. Ein Zubau von PV und Wind im Gebirge hätte sich erübrigt.

Die mit den erneuerbaren Grossanlagen verbundene «Landschaftsverschandelung» ist somit der «Preis» für den damaligen Atomausstieg. Allerdings hilft es nicht, das Stromgesetz heute abzulehnen und einzig auf Kernkraft zu setzen. Das passt auf der Zeitachse nicht zusammen. Die Gesellschaft wie auch die Industrie brauchen kurz- bis mittelfristig rascher mehr Strom als mit neuen Kernkraftwerken produziert werden könnte, bis diese dann errichtet sind. Im Wissen um diese «Pfadabhängigkeit» der damaligen politischen Entscheidung, die sich unterdessen als nicht weitsichtig herausstellt, unterstützt Swissmem das Stromgesetz.

Langfristig betrachtet besteht sehr wohl die Möglichkeit, wenigstens das Ausmass der «Landschaftsverschandelung» zu begrenzen. Dazu gehört erstens, dass die bestehenden Kernkraftwerke so lange wie sicher am Netz bleiben. Und zweitens ist das Neubauverbot für Kernkraftwerke aufzuheben. Diese Stossrichtung ist eines der Kernanliegen der Blackout-Initiative.

Swissmem steht als Verband der Tech-Industrie seit jeher für Technologieoffenheit ein und hat das Neubauverbot für Kernkraftwerke stets abgelehnt. Die internationale Entwicklung zeigt klar, dass Kernenergie nebst den Erneuerbaren als Standbein einer klimaneutralen Stromproduktion mitzuberücksichtigen ist. Da jede Produktionsform ihre spezifischen Vor- und Nachteile hat, ist es für ein robustes System am besten, die ganze Klaviatur klimaneutraler Stromerzeugungstechnologien zu berücksichtigen. Spätestens mit der altersbedingten Ausserbetriebnahme der grossen Kernkraftwerke in Gösgen und Leibstadt sollten neue nukleare Kapazitäten zur Verfügung stehen.

Mit der Aufhebung des Neubauverbots sollte auch nicht zugewartet werden:

  1. Solange ein Neubauverbot besteht, werden sich tatsächlich keine Investoren für neue Kernkraftwerke finden lassen. Weshalb sollen sich Investoren mit Projekten befassen, die gar nicht realisiert werden dürfen? Irgendwie logisch!
  2. Es ist ein wichtiges Signal in den Arbeitsmarkt, dass die Nuklearindustrie kein politisch verordnetes Ablaufdatum hat. Es braucht qualifizierte Arbeitskräfte sowohl für den Langzeitbetrieb der bestehenden Kraftwerke als auch für den Betrieb von neuen Anlagen. Über kurz oder lang wird die Schweiz ihren eigenen Nachwuchs sicherstellen müssen.
  3. Nuklearforschung ist wichtig und ergibt nur Sinn, wenn sie vor Ort auch genutzt und umgesetzt werden kann. Das heutige Schattendasein genügt nicht.
  4. Die Vorlaufzeiten zur Realisierung neuer Kernkraftwerke bleiben lang, selbst wenn es gelingen sollte, diese mit Verfahrensbeschleunigungen wie bei Photovoltaik- oder Windanlagen sowie beim Netzausbau zu verkürzen.
  5. Eine vorgängige gesellschaftliche Diskussion ist wichtig und unumgänglich. Die Aufhebung des Neubauverbots ist weit mehr als eine gesetzgeberische Formalie. Es ist ein Paradigmenwechsel, dass Kernenergie genauso wie die Erneuerbaren als Teil der Lösung für Netto Null zu betrachten sind.

Wer meint, diese Diskussion komme zum falschen Zeitpunkt oder zu früh, hat Angst vor der Diskussion. Gerade die Debatte um das Stromgesetz bringt die Zielkonflikte bei der Stromerzeugung augenscheinlich zum Ausdruck. Besser früher als später soll die Gesellschaft ihre Optionen zur Stromerzeugung auf Basis von Technologieoffenheit erweitern können.

Es ist auch keine Frage der parteipolitischen Couleur, wie die Diskussion um die Kernkraft bei grünen Parteien in Europa zeigt. «Weniger Deutschland und mehr Finnland» würde auch der Schweiz gut anstehen. In diesem Sinne Ja zum Stromgesetz und Ja zur Aufhebung des KKW-Neubauverbots.

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Letzte Aktualisierung: 29.05.2024