Anil Srivastava, Sie sind gleich zu Beginn mit der E-Ferry Ellen mitgefahren. Bauchkribbeln oder Gelassenheit?
Anil Srivastava: Ich fühlte mich wie ein Kind, dessen Traum wahr geworden war! Innerhalb von nur vier Jahren wurde eine Idee zur Realität. Es war ein ganz wunderbares Erlebnis: sehr ruhig an Bord, auch bei Spitzengeschwindigkeiten, und die Luft war sauber. Es roch nicht nach Benzin oder Abgase, wie man das sonst von Fähren kennt.
Ellen – woher kommt eigentlich der Name?
Anil Srivastava: Im Jahr 1903 hiess die erste Dampffähre auf dieser Strecke in Dänemark Ellen – eine grosse Innovation damals. EL ist ausserdem die dänische Abkürzung für Electricity. Man hat mit diesen beiden Tatsachen gespielt und die neue grosse Innovation wieder so benannt.
Das Batteriesystem dazu lieferten Sie. Welche Rolle will Leclanché im Kampf gegen den Klimawandel einnehmen?
Anil Srivastava: Mit dem Projekt Ellen konnten wir zeigen, dass wir heute in der Lage sind, thermische Antriebe mit fossilen Brennstoffen durch saubere Energie zu ersetzen. So können wir zum Wohl unserer Bevölkerung einen Beitrag gegen den Klimawandel und gegen die Umweltverschmutzung leisten. Uns geht es wirklich darum etwas zu tun, nicht nur durch wohlklingende Pressemitteilungen grün auszusehen.
Finden Sie, dass genug gemacht wird?
Anil Srivastava: Einen Beitrag zu leisten liegt meiner Meinung nach zwar in jedermanns Verantwortlichkeit. Es müssen viele Menschen mitwirken, um den Kampf gegen den Klimawandel zu gewinnen. Aber wahrscheinlich muss jemand die Führung übernehmen. Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum der Schweizer Staat nicht schon längst alle herkömmlichen Fähren auf den Seen mit E-Fähren ersetzt hat. Das wäre überhaupt kein Problem und könnte von heute auf morgen durchgeführt werden. Lasst uns unsere Seen 100% dieselfrei machen!
Welchen Beitrag leisten Sie persönlich für die Umwelt?
Anil Srivastava: Im Jahr 2007 verliess ich einen sehr guten Job im Hightech-Sektor, weil ich mich dazu entschlossen hatte, den Rest meines Lebens in einem der vier Feldern zu arbeiten, die einen echten Einfluss auf das menschliche Leben haben: Nahrung, Gesundheitswesen, Energie oder Wasser. Die gemeinsame Herausforderung dieser Felder ist der Klimawandel. Ich wollte Teil dieser Sektoren werden, weil sie hoffentlich helfen können, den Klimawandel zu stoppen. Ich richte nun schon eine ganze Zeit lang mein Leben auf die Lösung dieses Problems aus.
Sind Sie eher optimistisch oder zutiefst besorgt, wenn Sie an den Klimawandel denken?
Anil Srivastava: Ich bin optimistisch. Meine beiden Söhne sind in den späten 90er Jahren geboren worden und ich sehe die neuen Sichtweisen in ihnen. Sie führen sich sehr viel mehr verantwortlich für diese Welt und leben bewusster als meine Generation das getan hat. Sie recyclen nicht, weil es gesetzlich vorgeschrieben ist, sondern sie tun es, weil es sinnvoll ist und gemacht werden muss. Diese Generation und die darauffolgenden sind meine grosse Hoffnung.
Wie ethisch vertretbar ist es eigentlich, Ihre Batterien herzustellen?
Anil Srivastava: Wir müssen eine Sache realisieren: Um Energie erzeugen zu können, müssen wir etwas anderes nutzen. Das ist ein physikalisches Gesetz, das war schon immer so. Aber ich gebe zu, dass in der Vergangenheit viele Fehler gemacht wurden. Wir müssen daraus lernen. Ich meine vor allem die verantwortungsvolle Beschaffung der Ressourcen. Die EU Kommission unterstützt Unternehmen schon dabei, sich bei der Beschaffung von Metallen und Mineralien besser über deren Herkunft zu informieren. Wenn die Konsumenten der Batterie auf nachhaltigere und ethischere Quellen bestehen, wird sich dies positiv auf die Arbeitsbedingungen in den Minen auswirken. Alle müssen einen kleinen Aufpreis zahlen, damit ein fairer Lohn gezahlt werden kann. Das ist unsere Verantwortung. Aber, dass wir etwas nutzen müssen, um Energie zu erzeugen, das kann man nicht wegdiskutieren.
Ellen ist das Ergebnis der europäischen E-Ferry-Initiative, die im Rahmen des Horizon-2020-Programms der Europäischen Kommission mit 15 Millionen Euro gefördert wurde. Warum wurde das Projekt initiiert?
Anil Srivastava: Es ging nicht allein um Wirtschaftlichkeit – obwohl die Fähre rentabel ist. Man muss hier das Gesamtbild sehen. 2017 war der Transportsektor für 27% des CO2-Ausstosses in Europa verantwortlich. Autos produzieren etwa 12% der gesamten Treibhausgasemissionen in der EU, während der internationale Schiffsverkehr gerade mal für 5% dieser Emissionen verantwortlich ist. Es wäre daher sehr wichtig, Massnahmen in Bezug auf Autos zu ergreifen, allerdings müsste man dafür Millionen von Leuten überzeugen. Flottenfahrzeuge wie zum Beispiel Fähren sind weit einfacher und schneller umzustellen. Schauen wir uns nun die Energieeffizienz an: Mit einem klassischen Motor brauchte man 2000 Kilowatt für eine Strecke von 13 Seemeilen. Nur 800 Kilowatt mit unseren Fähren. 800 zu 2000. Das sagt alles!
Wie erlebten Sie das Programm?
Anil Srivastava: Durchwachsen (lacht). Mit diesem Innovationsprojekt sollte herausgefunden werden, ob eine vollständig elektrische, leistungsfähige Fähre gebaut werden kann. Die Hauptfragen lauteten: Ist das möglich? Wäre sie sicher? Und: Wäre sie kommerziell tragbar?
Warum durchwachsen?
Anil Srivastava: Alles musste von Grund auf neu konzipiert werden. Allein das Design war eine grosse Herausforderung. Die Elektrizität passte in kein existierendes Schiff. Dann musste die Energieeffizienz gesteigert werden. Und viele Sicherheitsfragen mussten neu ermittelt werden, wie etwa: Wohin entweicht das Gas, wenn Feuer ausbricht? Immer, wenn etwas komplett Eigenständiges erschaffen wird, kommen Probleme auf. Bei uns etwa mit dem Interface zwischen Batterie und Fahrsystem. Wir waren auch etwas spät dran. Aber die Teamarbeit zwischen Danfoss, Visedo und uns hat gut funktioniert und so konnten wir uns gegen einige der weltgrössten Unternehmen durchsetzen.
Die Technologie von Lithium-Batterien ist schon recht ausgereift und es gibt wenig Optimierungspotential. Womit konnten Sie konkret ĂĽberzeugen?
Anil Srivastava: Unser Hauptvorteil war unsere Innovation rund um die Sicherheit. Dank unserem “Foam Extinguishing System” kann in den Batteriesträngen kein Feuer ausbrechen. Vereinfacht gesagt funktioniert das so: Klettert die Temperatur an irgendeiner Stelle im Batteriestrang nach oben, wird sie automatisch heruntergekühlt, indem Schaum in die brandfesten Batteriehüllen injiziert wird. Ein potentielles Feuer wird so also sofort im Keim erstickt.
Sicherheit ist bei Fähren sehr wichtig: Bei einem E-Bus etwa kann man das Feuer leichter stoppen und die Passagiere rascher evakuieren. Wie aber flüchtet man möglichst schnell von der Fähre? Rettungsboote sind die absolut letzte Möglichkeit.
Ich habe den Eindruck, dass es nach schwierigen Jahren wieder gut für Ihr Unternehmen läuft?
Anil Srivastava: Wir stiegen in das Geschäft der Nutzfahrzeugflotten im Jahr 2018 ein. Heute haben wir Aufträge für mehr als 25 Fahrzeuge. Das zeigt uns, dass ein grosser Bedarf für unsere Technologie auf dem Markt besteht. Wir garantieren 4500 Zyklen von der aufgeladenen bis zur entleerten Batterie. Die meisten asiatischen Batterien halten halb so lange. Gerade marine Nutzfahrzeugflotten brauchen High-Performance-Lösungen und die können wir bieten. Ich bin also sehr zuversichtlich. Im maritimen Transportbusiness haben wir gerade das dickste Auftragsbuch gegenüber allen Mitbewerbern auf der Welt und insgesamt zugesicherte Aufträge von rund 120 Millionen Franken.
Was ist Ihre Vision? Dieselfreie Weltmeere?
Anil Srivastava: Für kürzere Strecken wird man alle Flotten wohl auf E-Mobilität umstellen können. Lange Distanzen werden zunächst in hybrider Form funktionieren. Mit der momentanen Technologie wird es nicht möglich sein, allein mit E-Schiffen von Europa bis nach China zu fahren. Aber ich bin mir sehr sicher, dass es eine grosse Perspektive gibt.
Die Elektrofähre «Ellen»
Route: Søby-Fynshav (Dänemark)
Geschwindigkeit: Bis zu 14 Knoten
Kapazität: 31 PKW / 4 Lastwagen und 8 PKW / 150–200 Personen
Ellen hat eine sieben Mal höhere Kapazität als herkömmliche vollbatteriebetriebene Autofähren und kann knapp 41 Kilometer am Stück fahren. Das reicht für die Strecke von Fynshav nach Søby und zurück. Geladen wird mit einer rekordhohen Leistung von 4,4 Megawatt im Hafen von Fynshav in etwa 20–30 Minuten.