Dieser Artikel ist in leicht angepasster Form am 2. Februar 2021 in der NZZ erschienen.
Martin Hirzel, Swissmem Präsident
Die Welt war auf gutem Wege, die Geissel der Armut hinter sich zu lassen. Ein wichtiger Treiber war die Globalisierung, welche sich in den vergangenen Jahrzehnten durch die grossen Fortschritte in der Logistik sowie bei den Informations- und Kommunikationstechnologien enorm intensivierte. Auch der Freihandel bildete ein zentrales Element. Er erleichterte den internationalen Güteraustausch wesentlich. Der Abbau von Zöllen und anderen Handelshemmnissen erlaubte es den Unternehmen, ihre Produktionsprozesse über die nationalen Grenzen hinaus in weniger entwickelte Länder auszudehnen. Dadurch stiegen Produktivität und Einkommen in jenen Ländern, die zu einem integralen Bestandteil der globalen Wertschöpfungsketten wurden.
Der «World Development Report» der Weltbank von 2020 bestätigt, dass die weniger entwickelten Länder durch die Multiplizierung der globalen Produktionsnetzwerke stark profitierten. Seit 1990 sind fast 1,1 Milliarden Menschen der extremen Armut entkommen. Vielerorts hat sich erstmals ein Mittelstand etabliert. Diese unglaubliche Dynamik habe ich während meinen langjährigen Aufenthalten in Asien und Südamerika selber miterlebt.
Allerdings hat sich diese Entwicklung nach 2007 verlangsamt. Neben einer schwächeren globalen Konjunktur behindern Handelskonflikte und wachsender Protektionismus ein weiteres Ausbreiten der Globalisierung. Die Blockierung der WTO trug ebenfalls zu deren Verlangsamung bei. Hinzu kommt, dass insbesondere in westlichen Gesellschaften die Kritik an der Globalisierung zugenommen hat. Zudem hat die Corona-Pandemie jüngst die Fragilität globaler Lieferketten aufgezeigt. All dies stellt die Wohlstandsgewinne der letzten Jahrzehnte in Frage. Es besteht das Risiko, dass die Armut wieder zunimmt.
Dabei geht es nicht nur um schwindende Prosperität und steigende Verarmung. Genauso relevant ist, dass Wohlstandsverluste den Umwelt- und Klimaschutz erschweren. Gerade in weniger entwickelten Regionen fehlen dadurch die Mittel, um in ressourcenschonende und emissionsarme Technologien zu investieren. Zudem führt ein konjunktureller Abschwung eher zu sozialen Unruhen als zu umweltbewusstem Verhalten – ein Umstand, den globalisierungskritische und undifferenziert ökologisch orientierte Kreise oft verkennen.
Die Lähmung der WTO schuf ein zusätzliches Problem. Sie erschwert es, die international geltenden Handelsregeln gerichtlich durchzusetzen. Dadurch wächst für handeltreibende Staaten die Gefahr machtpolitisch motivierter Diskriminierungen. Das betrifft insbesondere Kleinstaaten wie die Schweiz, die nicht über machtpolitische Mittel verfügen.
Es braucht eine Renaissance des Freihandels. Das ist für die Schweiz entscheidend, denn sie verdient jeden zweiten Franken im Ausland. Mit einer Ausfuhrquote von 80 Prozent ist die Bedeutung des Exportgeschäftes für die Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie noch viel ausgeprägter als in vielen anderen Branchen. Der Heimmarkt ist schlicht zu klein, um den Fortbestand der Industriebetriebe mit ihren rund 313’000 Arbeitsplätze zu sichern.