Welche Voraussetzungen braucht es in Unternehmen, damit diese die Vorteile von Freihandelsabkommen optimal nutzen können?
Stephan Brugger: Nicht selten befindet sich das Know-how zu Freihandelsabkommen isoliert in der Exportabteilung von Unternehmen. Um das Potenzial wirklich ausschöpfen zu können, braucht es jedoch den Einbezug verschiedener Abteilungen. Es ist beispielsweise zentral, dass die Einführung eines neuen Produkts vom Entscheid über den Produktionsstandort, die Fertigungstiefe bis hin zu den Lieferanten von der ursprungsverantwortlichen Person begleitet wird, damit die Entscheide bewusst auch im Hinblick auf Freihandelsabkommen getroffen werden können.
Warum ist ein proaktiver Umgang mit dem Thema Freihandel wichtig?
Damit können die Vorteile bereits in Verkaufsgesprächen genutzt werden. Den ausländischen Kunden interessieren nicht nur die offerierten Kosten, er will wissen, wie viel er unter dem Strich bezahlen muss. Diese sogenannten «landed costs» beinhalten neben dem Verkaufspreis auch Transport- und Zollkosten. Fallen Letztere grösstenteils oder gänzlich weg, bezahlt der Kunde womöglich weniger als für ein günstigeres Produkt der Konkurrenz aus anderen Ländern. Dies bereits in den Verhandlungen aufzeigen zu können, verschafft den Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil.
Wo sehen Sie Herausforderungen bei der Nutzung?
Tatsächlich ist es so, dass Unternehmen teilweise die Möglichkeiten der Freihandelsabkommen nicht voll ausschöpfen. Die Gründe für diese Zurückhaltung sind einerseits Unkenntnis, aber auch der nicht zu unterschätzende administrative Aufwand. Wer Freihandelsabkommen nutzen möchte, muss deshalb auch investieren.
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Die grösste Hürde für Firmen stellt häufig der präferenzielle Ursprung dar. Der Lieferant muss mittels einer Kalkulation beweisen, dass seine Ware in der vom Freihandelsabkommen festgehaltenen Weise bearbeitet wurde. Bei der Schweizer Tech-Industrie ist ein präferenzieller Ursprungsanteil beim revidierten PEM-Abkommen von nur noch 50% vorgeschrieben. Bis vor zwei Jahren waren das noch rund 60 – 70 Prozent! Wird dieser von der schweizerischen Zollverwaltung überprüft, muss der Exporteur den Ursprung nachweisen. Deshalb ist es unbedingt erforderlich, jeden einzelnen Prozessschritt auf das Genauste zu dokumentieren. Das bedingt eine enge Zusammenarbeit zwischen den involvierten Unternehmensbereichen – von der Produktentwicklung über den Einkauf, den Verkauf bis zur Distributions- und Logistikabteilung.
Mit dem kürzlich abgeschlossenen Freihandelsabkommen mit Indien verfügt die Schweiz über insgesamt 36 Abkommen. Wie behält ein Unternehmen da den Überblick?
Freihandelsabkommen sind Chefsache. Die Führung muss Ressourcen zur Verfügung stellen und letztlich entscheiden, inwieweit die Abkommen im Unternehmen umgesetzt werden. Ich empfehle, sich auf wenige wichtige Märkte zu konzentrieren, weil sonst der administrative Aufwand schnell zu gross wird.
Orientierung bietet die Beantwortung folgender Fragen:
- In welchen mit einem Freihandelsabkommen machen wir die grössten Umsätze?
- Auf welchem Markt wollen wir wachsen?
- Mit welchem Produkt?
- Wie hoch sind die Zölle?
Warum sollten sich Unternehmen mit dem Freihandelsabkommen Indien auseinandersetzen?
Indien hat bereits Freihandelsabkommen u.a. mit den ASEAN-Staaten, Japan und Korea abgeschlossen. Wir haben jetzt dank des erfolgreichen Verhandlungsergebnisses eine grossartige Chance, zu unseren Mitbewerbern aus dem asiatischen Raum aufzuschliessen bzw. die Wettbewerbsvorteile des Abkommens gegenüber den Konkurrenten aus der Europäischen Union zu nutzen.
Der Zollabbau auf der indischen Seite ist jedoch über mehrere Jahre verteilt. Das gibt den Exporteuren gleichzeitig aber auch die Gelegenheit, sich auf das Freihandelsabkommen mit Indien einzustellen und alle notwendigen Massnahmen mit Bedacht und Professionalität einzuleiten.