Es war viel dabei: Der Blick zurück in die Geschichte um politisches Handeln zu verstehen. Analysen der aktuellen Lage, um wirtschaftliche Möglichkeiten oder Folgen für Schweizer Unternehmen auszuloten. Einschätzungen der weiteren geopolitischen Entwicklungen, um Risiken zu erkennen und gewappnet zu sein. Und der Denkanstoss, ob die Wertediskussion ausschliesslich in die Politik gehört oder ob sie vielleicht doch auch in Geschäftsbeziehungen einfliessen müsste. Das 19. Swissmem Symposium bot eine vielseitige, inspirierende bis hin zu kontroverse Annährung an ein grosses Thema, welches viele Fragen aufwirft, aber oft keine abschliessenden Antworten zulässt. Breiter Konsens herrschte darüber, dass sich die Konfliktsituation zwischen den USA und China eher noch verhärten wird. Die Unternehmen müssen wohl vor diesem Hintergrund ihr Risikomanagement ausweiten und auf eine resiliente Unternehmensstrategie setzen, die auf eine Diversifizierung der Märkte abzielt.
Einordnender Ăśberblick
Nach dem wirtschaftlichen Ausblick von Josua Burkart, Managing Director, hpo forecasting ag, machte Swissmem-Präsident Martin Hirzel den Einstieg ins Hauptthema und warf dafür zunächst einen Blick zurück. Ende des zweiten Weltkriegs hat man sich international auf vermehrte Kooperation statt Konfrontation geeinigt – und dies mit Erfolg. Mit dem Handelswachstum stiegen Produktivität und Wohlstand weltweit massiv an. In vielen Ländern entstand eine Mittelschicht. Doch leider hat sich der Globalisierungstrend seit 2007 verlangsamt. Protektionismus und Handelskonflikte haben insbesondere auch für kleine offen Volkswirtschaften wie die Schweiz weitreichende Folgen. Der Konflikt zwischen den für die Schweiz wichtigen Handelspartner USA und China – sie stehen hinter dem Absatzmarkt Europa an zweiter und dritter Stelle – bringt zusätzlich mit technologischen Entkopplungstendenzen ein neues Phänomen ins Spiel. Sind neue technologische Standards erst mal etabliert, lassen sie sich nicht so schnell wieder abschaffen. Damit entstehen für die global tätigen Schweizer Unternehmen sehr hohe Kosten und es besteht darüber hinaus die Gefahr von Sanktionen.
Ruth Metzler Arnold Verwaltungsratspräsidentin, Switzerland Global Enterprise, ergänzt, dass die neue geopolitische Ausgangslage von Unternehmen – auch von KMU – eine bewusste Analyse ihrer Risiken und Chancen sowie die Entwicklung einer langfristigen Strategie verlangt. Wer wachsen will, muss künftig mehr Risiken eingehen. Und wer in China Geschäfte macht, müsse wohl langfristig mit einem eigenen Standort vor Ort präsent sein. Sie ist aber auch überzeugt, dass den Schweizer Unternehmen trotz der Herausforderungen weiterhin viele Türen offenstehen. Mit ihrer Spitzentechnologie, die oft in Nischen angesiedelt ist, sind sie gut aufgestellt.
Einschätzung vor Ort
Mit Caroline Blaser, Head of Swiss Business Hub USA, New York, und Yves Morath, Head of Swiss Business Hub China, Beijing, kamen anschliessend zwei Experten zu Wort, die praxisbezogen vor Ort Unternehmen bei ihrer Geschäftstätigkeit in den jeweiligen Ländern unterstützen und einen Einblick in die aktuelle Situation gaben.
Die US-Wirtschaft boomt wie seit fast 40 Jahren nicht mehr. Caroline Blaser ist ĂĽberzeugt, dass der US-Markt fĂĽr Schweizer KMU hochattraktiv bleibt. Die Konjunkturerholung fĂĽhrt zu einer steigenden Nachfrage bei hochwertigen Produkten, die Modernisierung der Infrastruktur, Medizintechnik sowie ein starkes Wachstum im Bereich E-Commerce. Derzeit lasse sich auch eine grosszĂĽgige Handhabung der Vergabe von Einreisebewilligungen feststellen.
An China führe aber auch kein Weg vorbei, ist Yves Morath überzeugt. Besondere Geschäftschancen präsentieren sich Schweizer Unternehmen im Gesundheitssektor, im Konsumgütermarkt sowie bei neuen Infrastrukturprojekten oder dem MEM-Bereich. Allerdings könnte für letzteren die Strategie «Made in China 2025» Fluch und Segen zugleich werden. Kurzfristig bieten sich hier gute Geschäftsmöglichkeiten, doch wenn die hochgesteckten Ziele erreicht werden, hätte das für China eine technologische Unabhängigkeit in Schlüsseltechnologien zur Folge, was den Marktzugang für Schweizer Unternehmen erschweren könnte. Grundsätzlich rät er Unternehmen, eine Lokalisierungsstrategie für China zu entwickeln, um auf den zunehmenden politischen Druck reagieren zu können und die Zertifizierung zu vereinfachen. Ein aktuelles Problem sind derzeit die Reisebeschränkungen, weil China auf Abschottung statt Impfstrategie setze. Mit einer Normalisierung sei da wohl erst 2023 zu rechnen.
Orientierung an der Macht Amerikas
Markus Herrmann, Managing Director Switzerland, Sinolytics GmbH, ging in seinen Ausführungen auf die Perspektive Chinas ein und betonte, dass die Aussenpolitik in Abhängigkeit zur eingeschätzten Kraft der USA gesehen werden muss. Aufgrund historischer Ereignisse, die zur Isolation Chinas und Machtdemonstration der USA geführt haben, stieg die Befürchtung, dass man das nächste Ziel des Westens werden könnte. Amerika wurde zur Bedrohung und die eigene Sicherheit und Autonomie zu einem wichtigen Anliegen. Laut Markus Herrmann ist die Parteispitze in China derzeit überzeugt, dass sich in der globalen Konstellation grundlegende Veränderungen abspielen, die einen Machtzerfall der USA zur Folge haben, und dass in der Folge eine Multipolarität wahrscheinlicher geworden ist. China will die Gelegenheit nutzen und zum «Gravitationsfeld» der Weltwirtschaft werden. Dabei setzt das Land mit einer Konzentration auf den Binnenmarkt sowie eigene Technologieentwicklungen auf Unabhängigkeit und intensiviert gleichzeitig die wirtschaftlichen Beziehungen mit den umliegenden Ländern.
Die Rivalität mit den USA wird nach Einschätzung von Markus Herrmann eher noch zunehmen. Er rät Unternehmen, China nicht nur einfach aus wirtschaftlicher Perspektive als Markt zu sehen, sondern ein aktives Risikomanagement zu betreiben, welches auch die geopolitischen Entwicklungen mitberücksichtigt. Schweizer Maschinenbauer werden möglicherweise zunehmend unter Druck geraten, Forschung und Entwicklung zu lokalisieren oder Anpassungskosten zu tragen, um den abweichenden chinesischen Standards zu entsprechen.
Amerika ist auch eine Idee
Und wie denkt Amerika? Auf diese Frage ging Dr. Claudia Franziska Brühwiler, Uni St. Gallen, ein. Trump brachte den historischen Begriff «America First» wieder auf. Diese Haltung war ein Bruch mit den bisherigen wirtschaftspolitischen Grundsätzen und schaffte den Boden für die Abkehr von Ideen, die mit dem Freihandel verbunden waren. Entsprechend schwenkte die Administration Trump auf einen konfrontativen Kurs ein und propagierte die Idee eines Decoupling vom chinesischen Wirtschaftsraum. Hinzu kam die ernüchternde Erkenntnis, dass im Zuge der Wirtschaftsfreiheit nicht automatisch auch eine politische Freiheit folgt. Bidens Aussen- und Wirtschaftspolitik speist sich laut Brühwiler ebenfalls aus einer idealistischen Tradition und auch er sieht Amerika als «exceptional nation». Doch er definiert den Begriff inhaltlich anders. Seine Politik stellt liberal-demokratische Werte in den internationalen Beziehungen ins Zentrum und betont die Ausnahmerolle der USA vielleicht etwas bescheidener als die seines Vorgängers. Droht ein neuer kalter Krieg? Claudia Brühwiler beendet ihr Referat mit einem Cliffhanger und lässt die Frage offen.
Europas Hochseilakt zwischen China und den USA
Dr. Giulio Haas, Head Government Affairs & Public Relations, SICPA SA, lenkte den Blick auf Europa, welches als dritter Block im Weltgefüge die geringste Geschlossenheit aufweist und den Entwicklungen bis zu einem gewissen Grade ausgeliefert ist. Der Kontinent ist exportlastig, ohne eine zentrale Militärmacht zu sein. Die aussenpolitische Geschlossenheit ist ständigem Druck ausgesetzt und wird durch Avancen der USA und Chinas innerhalb der EU zusätzlich herausgefordert. Die grösste Schwäche Europas sieht er in den schwach ausgebildeten Entscheidungsstrukturen. Dagegen hält Giulio Haas die EU durchaus für fähig, als Wirtschaftsblock mit zahlungskräftigen Bürgerinnen und Bürgern international einen Rechtsraum durchzusetzen. Und er wartete bei seinen Ausführungen auch mit überraschenden Erkenntnissen auf: 2020 treibt die ganze Welt ausser Europa mehr Handel mit China als mit den USA. Den Unternehmen rät er jenseits der drei Giganten zu einer geografischen Risikodiversifizierung der Märkte. Und er stellt in den Raum, dass Neutralität und die fehlende Zugehörigkeit zu einem Block vielleicht auch zu einem Risiko für die Schweiz Industrie werden könnte.
Wertediskurs ausschliesslich eine Sache der Politik?
Prof. Dr. Ralph Weber Professor für European Global Studies, Universität Basel, brachte mit dem Stichwort «Werte» einen neuen Aspekt ins Spiel. Erist überzeugt, dass das lange kolportierte politische Motto «Wandel durch Handel» keine adäquate Sichtweise mehr ist. China liefere den Beweis dazu. Hier herrscht eine ideologische Kontinuität mit einer Partei, die über dem Staat steht. Und in der Präambel der Staatsverfassung findet sich ausserdem kriegerische Rhetorik, in der die Bekämpfung aller Kräfte in Aussicht gestellt wird, die das chinesische sozialistische System ablehnen oder zu unterminieren versuchen. Hinzu kommt eine zunehmende autoritäre Schliessung unter Xi Jinping. Es gibt keine Indizien dafür, dass sich dies in den nächsten Jahren ändern könnte. Das Plädoyer von Ralph Weber: Es braucht eine breite, differenzierte und ergebnisoffene Debatte zur Schweizer Chinastrategie und der Rolle privatwirtschaftlicher Akteure jenseits überholter Diskursrahmen. Private und staatliche Akteure in der Schweiz müssen zu einer bedingten Kooperation mit Akteuren in China zurückfinden, welche glaubhaft wertebedingt ist und klare rote Linien definiert.
Hat der europäische Maschinenbau in China nach 2025 eine Zukunft?
Professor Frank Brinken, Chairman & Founder BB Intec AG, greift in seiner Präsentation die Tatsache auf, dass eines der zehn Kernziele in der Strategie «Made in China 2025» auf hochwertige eigene Fertigungssysteme fokussiert. Hier werden regierungsseitig grosse finanzielle Ressourcen bereitgestellt, was kurzfristig einen Nachfrageschub nach präzisen automatisierten Fertigungssystemen auslösen könnte. Mittelfristig werden sich allerdings die Europäer die Frage stellen müssen, ob das derzeitige Geschäftsmodell in China vielleicht einer Anpassung bedarf.
Derzeit sind die meisten europäischen Firmen mit eigenen Tochtergesellschaften in China aktiv (WFOE = Wholly Foreign Owned Enterprises). Die USA und seit einiger Zeit auch die EU sind allerdings dabei, Hürden für ausländische Direktinvestitionen zu definieren und es muss davon ausgegangen werden, dass sich das politische Umfeld für Tochtergesellschaften in China ändern kann.
Frank Brinken führt zusammen mit Shenyang Fan Managing Partner, CEL Investment Fund, HKG, aus, dass nebst traditionellen Joint Ventures mit chinesischen industriellen Partnern in Zukunft auch Joint Ventures zusammen mit europäischen Herstellern sowie chinesischen Finanzinvestoren eine Möglichkeit sein könnten.
Chinas Wirtschaftswunder?
Jianhe Mao, Geschäftsführer, Unipec GmbH, führt in pointierter Weise aus, dass auch das vorwiegend planwirtschaftlich organisierte, chinesische System langfristig nicht entgegen der allgemein gültigen Volkswirtschaftstheorie ein Erfolg sein kann. Er betont, dass wir nur wenig Einblick in den wahren Zustand des Landes haben, welches mit Geldüberflutung, Schuldenfalle, Immobilienblase und Kapitalflucht zu kämpfen hat. Und immer noch sei ein grosser Anteil der Bevölkerung von Armut betroffen, was auch dem Konsum Grenzen setzt. Nach seiner Einschätzung haben es nur wenige ausländische Firmen geschafft, über eine längere Zeit in China richtig Geld zu verdienen, gleichzeitig mussten sie dafür einen überproportional grossen Investitionsaufwand betreiben. Aus Sicht von Jianhe Mao ist es an der Zeit für Unternehmen, den Stresstest zu machen und eine strategische Anpassung vorzunehmen. Dazu gehöre die Diversifizierung der Lieferketten und auch die Prüfung einer neuen Orientierung, beispielsweise Richtung Osteuropa und Lateinamerika. Und manchmal, meinte er etwas provokativ, seien Schliessungen die einzig richtige Option, um auf vernünftiger Basis wieder neu zu beginnen.
Der zweite Kalte Krieg
Prof. Dr. Tobias Straumann, MAS Applied History, Universität Zürich, legt im Schlussreferat nahe, die Geschichte als eine Turnübung anzusehen, um die Fantasie anzuregen, was passieren könnte. Wendepunkte würden sich meist ankündigen, wir seien aber oft zu träge, um Veränderungen rechtzeitig anzuerkennen. Zwar unterscheidet sich die aktuelle Situation in vielerlei Hinsicht vom ersten Kalten Krieg, aber gemeinsam ist beiden Konflikten, dass China wie seinerzeit die Sowjetunion aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus agiert. Zudem müssen auch dieses Mal die Exportunternehmen von Drittstaaten jederzeit damit rechnen, dass sie durch den weltpolitischen Konflikt gezwungen werden, ihr Geschäft umzustellen. Er hält es deshalb für ratsam, beim Risikomanagement nicht nur die üblichen Szenarien durchzurechnen, sondern die ganze Fantasie zu bemühen, um bei unerwarteten Ereignissen zumindest mental vorbereitet zu sein. Generell gelte, dass das politische und geostrategische Denken in Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten an Bedeutung gewinnen müsse.
Swissmem Symposium 2022
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