Das Europäische Parlament und der Rat haben ihre Positionen gefasst. Am 12. Juli 2022 startete unter der Präsidentschaft Tschechiens der sog. Trialog. Während des Trialogs ringen die Institutionen (Europäisches Parlament, Rat und beobachtend die EU-Kommission) um eine Einigung, welche dann nach den Schlussabstimmungen Gesetz werden soll.
Überblick über die sich abzeichnenden Änderungen
Es ist zu betonen, dass das Gesetzgebungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Deshalb handelt es sich hier nicht um eine abschliessende und vollständige Aufzählung der Änderungen, sondern vielmehr um einen Überblick:
- Einer der politischen Knackpunkte der letzten Wochen war die Systemänderung hinsichtlich der heutigen Anhang-IV-Maschinen. Im Sinne eines politischen Kompromisses wurde die Liste (welche neu als Anhang I bezeichnet wird) in einen Teil A und einen Teil B aufgeteilt. Für die Produkte in Teil B soll sich (im Vergleich zu den heutigen Anhang-IV-Maschinen) nichts ändern, d.h. unter gewissen Umständen ist die Durchführung des Konformitätsbewertungsverfahrens durch den Hersteller (Modul A) weiterhin möglich. Nur die Produkte des Teil A müssen zwingend durch eine Drittstelle geprüft werden. Der aktuelle Entwurf enthält in Teil A ausschliesslich tragbare Befestigungsgeräte mit Treibladung und andere Schussgeräte, Software (mit oder ohne künstliche Intelligenz), welche Sicherheitsfunktionen wahrnimmt, sowie in Maschinen integrierte Systeme, die Sicherheitsfunktionen wahrnehmen und mit KI ausgestattet sind. Mit Hilfe von einzelnen, wenigen Mitgliedstaaten konnte die Industrie (bis jetzt) den worst case der Drittzertifizierung aller gelisteter Produkte abwenden.
- Erfreulich ist, dass die Betriebsanleitung zukünftig elektronisch zur Verfügung gestellt werden kann. Der Erwerber hat ein zeitlich befristetes Recht, eine Betriebsanleitung kostenlos in Papierform zu verlangen (was im Konsumgüterbereich mehr in Anspruch genommen werden dürfte als im Investitionsgüterbereich).
- Neu wird definiert, welche Änderungen eine bestehende Maschine erfahren muss, damit sie als «neue» Maschine unter den Anwendungsbereich der Maschinenverordnung fällt. Der Wortlaut für diese sog. wesentliche Änderung («substantial modification») wurde im bisherigen Gesetzgebungsprozess immer wieder angepasst.
- Damit die Gesetzgebung mit der Technik Schritt halten kann, soll diese Liste im Anhang I durch die EU-Kommission in einem schnellen Verfahren ergänzt werden können. Es ist gelungen hierfür einige Voraussetzungen aufzustellen. Insbesondere wird eine Konsultation der Beteiligten gefordert.
- Die Maschinengesetzgebung wird neu an das sog. New Legislative Framework (NLF) angeglichen, welches viele Aspekte innerhalb der technischen Gesetzgebung vereinheitlichen soll. Die Definitionen der Begriffe sollen aufeinander abgestimmt sein. Ferner wird die Maschinenverordnung nicht nur Vorschriften für Hersteller, sondern auch für andere Wirtschaftsakteure (wie Einführer und Händler) beinhalten und für diese anwendbar werden. Auch die Pflichten der Beteiligten und die Massnahmen bei nicht konformen Produkten im Markt werden vereinheitlicht und stringenter geregelt.
- Vorgesehen ist, dass die EU-Kommission die Kompetenz erhält, sog. technische Spezifikationen für Maschinen zu erlassen. Es ist gelungen, diese Kompetenz an Voraussetzungen zu knüpfen. So dürfen im Anwendungsbereich der technischen Spezifikation keine harmonisierten Normen vorliegen und der Auftrag der EU-Kommission an eine Normungsorganisation zur Ausarbeitung einer harmonisierten Norm muss erhebliche Verzögerungen erfahren. Erst dann darf die EU-Kommission aktiv werden.
- Ferner werden neu Sanktionen bei Verstössen der Wirtschaftsakteure gegen die Maschinenverordnung vorgesehen. Die Mitgliedstaaten legen diese Sanktionen fest. Gemäss EU-Recht müssen diese wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein und können bei schweren Verstößen strafrechtliche Sanktionen umfassen.
- Schliesslich wird auch der zentrale Anhang I der heutigen Richtlinie mit den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen, welcher in der revidierten Maschinenverordnung als Anhang III nummeriert ist, punktuell geändert; einerseits bedingt durch die Anpassung an die neuen Technologien und andererseits dort, wo die EU-Kommission Anpassungsbedarf sieht.
Timeline
Sowohl der Zeitpunkt, in welchem das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen wird, als auch der Zeitpunkt der zwingenden Anwendbarkeit der neuen Maschinenverordnung können noch nicht mit Bestimmtheit vorausgesagt werden.
Was das Gesetzgebungsverfahren betrifft, dürfte es weiterhin zügig vorangehen. Der Abschluss hängt jedoch wesentlich davon ab, wie schnell im Trialog eine Einigung erzielt wird. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass dies allzu lange dauern wird. Nach Abschluss des Trialogs finden die Schlussabstimmungen in Rat und Parlament statt. Anschliessend muss der finale Text in alle Amtssprachen der EU übersetzt werden. Mit der Publikation in Amtsblatt der Europäischen Union wird eine 20-tägige Frist ausgelöst, an deren Ende die Gesetzgebung automatisch in Kraft treten wird.
Im EU-Recht ist allerdings zu unterscheiden zwischen Inkrafttreten und Anwendbarkeit. Erst wenn der Rechtsakt anwendbar wird, muss er von den Unternehmen zwingend angewandt werden. Diese Übergangsfrist zwischen Inkrafttreten und Anwendbarkeit beträgt im Entwurf des Rates 36 Monate und im Entwurf des Parlaments 48 Monate. Um einen sanften und friktionslosen Übergang zu ermöglichen, setzt sich die Industrie nach wie vor dafür ein, dass es zusätzlich zu den 36 bzw. 48 Monaten einen Zeitraum geben wird, während dem die Hersteller selber entscheiden können, ob sie die alte oder die neue Gesetzgebung anwenden. Leider wurde dieses Anliegen noch nicht «erhört».
Eine Prognose ist mit einigen politischen Unsicherheiten behaftet. So bleibt unklar, wie sich das Gesetzgebungsverfahren der Verordnung über Künstliche Intelligenz auf die Timeline der Maschinenverordnung auswirken wird. Zur Erinnerung: die EU-Kommission hat nebst dem Vorschlag einer Maschinenverordnung auch eine Verordnung über künstliche Intelligenz vorgestellt. Bei dieser KI-Verordnung geht der Gesetzgebungsprozess im Vergleich zur Maschinenverordnung weniger rasch voran. Da die beiden Verordnungen inhaltlich zusammenhängen, stellt sich die Frage, ob beide zusammen in Kraft gesetzt werden. Dies würde bedeuten, dass sich die Timeline der Maschinenverordnung nach hinten verschiebt. Im Moment ist jedoch nicht absehbar, wie dies gehandhabt werden wird. Auch die Arbeitsweise der tschechischen Präsidentschaft hat wesentlichen Einfluss auf den Zeitplan und lässt sich heute noch nicht einschätzen.
Wir wagen dennoch eine Prognose. Davon ausgehend, dass der Trialog gegen Ende dieses Jahres abgeschlossen sein wird, legen wir eine Übergangsfrist von 36 Monaten zugrunde. Unter diesen Bedingungen würde die neue Maschinenverordnung nicht vor anfangs 2026 für die Unternehmen anwendbar werden.
Bis zum Abschluss des Gesetzgebungsprozesses wird sich Swissmem weiterhin sehr aktiv über Orgalim, den europäischen Dachverband der technischen Industrie mit Sitz in Brüssel, zusammen mit den anderen nationalen Verbänden und Sektor-Gruppierungen am Lobbying beteiligen. Nach Vorliegen des definitiven Textes werden wir im Detail über die Änderungen informieren, die Mitgliedunternehmen auf die Änderungen vorbereiten und bei der Umsetzung unterstützen.
Gerne halten wir Sie über den Swissmem Newsletter auf dem Laufenden. In der Zwischenzeit steht Urs Meier den Mitgliedern gerne für Fragen und Anregungen zur Verfügung (u.meiernoSpam@swissmem.ch).