Schliesst der Arbeitgeber eine Krankentaggeldversicherung ab, kann sich die Frage stellen, inwieweit trotzdem noch eine Lohnfortzahlungspflicht besteht. Lebt die Lohnfortzahlungspflicht wieder auf, wenn die Versicherung die Taggelder einstellt oder kĂĽrzt?
Ist ein Arbeitnehmender infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, ihm für eine beschränkte Zeit weiterhin den Lohn zu bezahlen (Art. 324a Abs. 1 OR). Der Arbeitgeber kann dieses Risiko aber auch absichern und eine Krankentaggeldversicherung abschliessen.
Gleichwertigkeit der Versicherungslösung
Mit dem Abschluss einer Krankentaggeldversicherung befreit sich der Arbeitgeber von der gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht nach Art. 324a OR bzw. gibt diese an den Versicherer ab. Der Arbeitgeber muss die Arbeitnehmenden – durch Hinweis auf die entsprechenden Versicherungsbedingungen – darüber informieren, dass anstelle der gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht eine Versicherungslösung tritt.
Damit der Arbeitgeber durch die Versicherungslösung von der gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht befreit wird, müssen die Versicherungsbedingungen im Verhältnis zur gesetzlichen Regelung mindestens «gleichwertig» sein. Gemäss Bundesgericht ist dieses Kriterium erfüllt, wenn bei hälftiger Prämienbeteiligung (Arbeitgeber/Arbeitnehmender) Taggelder von mindestens 80% des Lohns während mindestens 720 Tagen innerhalb von 900 Tagen ausgerichtet werden. Selbstverständlich können auch andere Versicherungsbedingungen das Kriterium der Gleichwertigkeit erfüllen. Ob dies der Fall ist, muss im Einzelfall geprüft werden. Sieht eine Versicherungslösung beispielsweise eine 30tägige Wartefrist vor, hat der Arbeitgeber während dieser Zeit seiner gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht nachzukommen und 100% des Lohnes auszurichten, bis die Versicherung Taggelder bezahlt.
Ist Gleichwertigkeit gegeben, so tritt die Versicherungslösung anstelle der gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers und dieser ist von seiner Pflicht zur Lohnfortzahlung befreit.
Anspruch des Arbeitnehmers gegenĂĽber Versicherung
Gemäss aktuellem Entscheid des Bundesgerichtes vom 28. November 2018 bedeutet dies, dass der Arbeitgeber im Falle eines kranken Mitarbeitenden nur als «Zahlstelle» für die Weiterleitung der Taggelder an den Arbeitnehmenden fungiert (4A_514/2018; E.2.1). Der Arbeitgeber erhält die Taggelder und rechnet diese ab; die eigentliche Schuldpflicht auf Ausrichtung von Taggeldern liegt aber bei der Versicherung (4A_514/2018; E.2.2).
Richtet die Versicherung also weniger Taggelder aus – beispielsweise, weil sie der Ansicht ist, dass der Arbeitnehmende nicht 100% arbeitsunfähig ist – oder stellt sie die Leistungen ganz ein, ist es am Arbeitnehmenden, einen Anspruch auf Ausrichtung von Taggeldern geltend zu machen, und zwar gegenüber der Versicherung. Dem Arbeitnehmenden steht ein eigenes Forderungsrecht gegenüber der Versicherung zu. Leistet die Versicherung keine Taggelder mehr, kann der Arbeitgeber seine Leistungen (Weiterleiten der Taggelder) ebenfalls einstellen. Weder ist der Arbeitgeber verpflichtet, für den Arbeitnehmenden die Taggelder bei der Versicherung einzutreiben, noch trifft ihn eine gesetzliche Lohnfortzahlungspflicht. Denn von dieser hat er sich befreit, indem er eine Krankentaggeldversicherung abgeschlossen hat. Die Lohnfortzahlungspflicht lebt nicht wieder auf, nur weil die Versicherung ihre Leistungen kürzt oder einstellt.
Die Befreiung des Arbeitgebers von der Lohnfortzahlungspflicht durch den Abschluss einer Krankentaggeldversicherung setzt neben der Gleichwertigkeit der Versicherungslösung voraus, dass der Arbeitgeber seinen Pflichten aus der Versicherung nachgekommen ist bzw. der Grund für die Leistungskürzung oder -einstellung, nicht beim Arbeitgeber liegt. Zu den Pflichten des Arbeitgebers gehören zum Beispiel das Bezahlen der Prämien, das Anmelden der Arbeitnehmenden, das Versichern des korrekten Lohnes.
FĂĽr weitere Fragen steht den Mitgliedfirmen von Swissmem Eva Bruhin, stv. Bereichsleiterin Bereich Arbeitgeberpolitik (e.bruhinnoSpam@swissmem.ch), zur VerfĂĽgung.