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Keine Sperrfrist bei arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit

Das Bundesgericht hat im Zusammenhang mit dem Kündigungs- oder Sperrfristenschutz während einer Arbeitsunfähigkeit eine wichtige Entscheidung getroffen.

Arbeitnehmende geniessen im Falle einer nachgewiesenen unverschuldeten Arbeitsunfähigkeit einen sogenannten Kündigungs- oder eben Sperrfristenschutz. Dies bedeutet, dass Arbeitnehmenden während ihrer Arbeitsunfähigkeit für eine bestimmte Dauer (abhängig von den Dienstjahren) nicht gültig gekündigt werden kann – resp. wenn die Kündigung von der Arbeitgeberin vor der Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen worden ist – die Kündigungsfrist entsprechend «stillsteht» (Art. 336c Abs. 2 OR).

Die Grundidee dieser Regelung ist, dass Arbeitnehmende zuerst in Ruhe genesen sollen, bevor sie sich auf die Suche nach einer neuen Stelle machen mĂĽssen.

In der Praxis stellt sich immer häufiger die Frage, was gilt, wenn betroffene Arbeitnehmende zwar beim aktuellen Arbeitgeber nicht arbeitsfähig sind, jedoch darüber hinaus in ihrem Privatleben sowie im sonstigen Erwerbsleben nicht eingeschränkt sind?

Arbeitsplatzbezogen oder nicht - 2 Fallbeispiele

Fallbeispiel 1: Herr M. fĂĽhlt sich seit längerem bei seiner Arbeitgeberin nicht mehr wohl – das Arbeitsklima gefällt ihm nicht mehr und es gibt immer wieder Konflikte mit Arbeitskollegen. Diese Situation belastet ihn psychisch so schwer, dass er nicht mehr zur Arbeit erscheinen kann. Herr M. geht aber nach wie vor seinen Hobbies nach und auch in die Ferien. Nur an eine RĂĽckkehr an seinen angestammten Arbeitsplatz bei seiner Arbeitgeberin ist nicht mehr zu denken. Er lässt sich bis auf Weiteres krankschreiben. 

Herr M. ist zwar hinsichtlich seiner Arbeitsleistung bei seiner Arbeitgeberin eingeschränkt, die Beeinträchtigung wirkt sich jedoch darüber hinaus nicht auf sein Leben aus. Häufige Beispiele, welche solche psychischen Belastungssituationen auslösen, sind Mobbing oder Bossing am Arbeitsplatz. Burnouts entstehen zwar auch durch Belastung am Arbeitsplatz, wirken sich aber oft auf die gesamte Lebenssituation negativ aus, sind daher nicht «nur» arbeitsplatzbezogen.

Fallbeispiel 2: Frau M. ist Produktionsmitarbeiterin. Sporadisch führt sie für die Arbeitgeberin auch mal Transportfahrten aus, wo sie teilweise schwerer Lasten tragen muss. Nun hat sie sich an der Schulter verletzt und kann keine Lasten mehr heben. Die Arbeitgeberin muss der Mitarbeiterin aus wirtschaftlichen Gründen kündigen und geht davon aus, dass keine Sperrfristen gelten, da die Mitarbeiterin in ihrer Tätigkeit in der Produktion nicht beeinträchtigt ist. Allerdings verkennt sie dabei, dass die Mitarbeiterin sich aufgrund ihrer beeinträchtigten Schulter bei der Stellensuche nicht mehr im gleichen Umfang wie bisher, nämlich auch im Transportbereich, bewerben kann. Die Arbeitsunfähigkeit wirkt sich somit über ihren Arbeitsplatz hinaus auf ihr Erwerbsleben aus, ist also nicht mehr nur arbeitsplatzbezogen, und die Sperrfristen müssen berücksichtigt werden.

Neuer Entscheid des Bundesgerichts schafft Klarheit

Bisher war in der Praxis umstritten, ob im Falle einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit die Sperrfristen zum Tragen kommen oder eben nicht. Die Schweizer Gerichte im deutschsprachigen Raum tendierten dazu, den Sperrfristenschutz zu verneinen, wohingegen die Gerichte in der Romandie diesen bejahten.

Im Entscheid vom März 2024 hat sich das Bundesgericht mit der Anwendung des Sperrfristenschutzes bei sogenannt «arbeitsplatzbezogenen» Arbeitsunfähigkeiten auseinandergesetzt und für Klarheit gesorgt: Sofern sich die Arbeitsunfähigkeit ausschliesslich auf den konkreten Arbeitsplatz beschränkt, wird keine Sperrfrist ausgelöst (BGE 1C_595/2023).

Nachweispflicht der arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit

Gemäss vorherrschender Praxis obliegt die Nachweispflicht der Arbeitsplatzbezogenheit der Arbeitgeberin. Aufgrund des Datenschutzes und des Arztgeheimnisses keine einfache Aufgabe. In der Praxis kommt es immer öfter vor, dass Ärzte die arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit im Arztzeugnis deklarieren – was wir sehr begrüssen. Geschieht dies jedoch nicht, bleibt der Arbeitgeberin in der Regel oft nur die Möglichkeit, den Arbeitnehmer auf eigene Rechnung zu einer Vertrauensärztin zu schicken mit dem Auftrag, ein detailliertes Arztzeugnis – mit entsprechenden Informationen zur Arbeitsplatzbezogenheit – auszustellen. Die vertrauensärztliche Untersuchung kann auch über die Krankentaggeldversicherung erfolgen. Diese wird in der Regel jedoch erst aktiv, wenn die Wartefrist für eine allfällige Taggeldauszahlung abgelaufen ist.

Selbst wenn die Arbeitsplatzbezogenheit bestätig ist, kann der Arbeitnehmer immer noch den gegenteiligen Beweis anfĂĽhren – in solchen Situationen ist es fĂĽr die Arbeitgeberin ratsam, nichtsdestotrotz vorsorglich (erneut) eine KĂĽndigung nach Ablauf der hypothetischen Sperrfrist auszusprechen. 

Swissmem-Mitgliedern gibt Zora Bosshart, Ressortleiterin Bereich Arbeitgeberpolitik, (z.bosshartnoSpam@swissmem.ch) gerne Auskunft. 

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Letzte Aktualisierung: 06.09.2024