Es lässt sich feststellen, dass Mitarbeitende während der Kündigungsfrist scheinbar anfälliger für «Arbeitsunfähigkeit» werden. Damit wird das Ende des Arbeitsverhältnisses hinausgezögert und weitere Lohnzahlungen gesichert.
Leider stellen viele Arbeitgeber fest, dass sich hauptsächlich bei konfliktbeladenen Fällen die Missbrauchsfälle des Sperrfristenschutzes häufen.
In diesem Zusammenhang werden die häufigsten Fragen zum Arztzeugnis nachfolgend aufgelistet:
- Wer muss nachweisen, ob der Mitarbeitende krank oder gesund ist?
Gemäss dem Grundsatz von Art. 8 des ZGB liegt die Beweislast bei derjenigen Partei, die Ansprüche aus bestimmten Tatsachen ableitet. Daher ist es Aufgabe des Mitarbeitenden, seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen und zu belegen.
- Ist ein Arztzeugnis erforderlich?
Das Gesetz schreibt nicht vor, ab wann ein ärztliches Attest vorzulegen ist. Grundsätzlich können Arbeitgeber jedoch ab dem ersten Tag der gemeldeten Arbeitsunfähigkeit ein Arztzeugnis verlangen. Häufig findet sich im Betriebsreglement eine entsprechende Bestimmung. Üblicherweise wird ein Arztzeugnis ab dem dritten Tag verlangt.
- Welche Folgen hat es, wenn ein Mitarbeitender kein Arztzeugnis vorlegt?
Legt ein Mitarbeitender trotz vertraglicher Vereinbarung oder Aufforderung des Arbeitgebers kein Arztzeugnis vor, kann der Arbeitgeber eine Verwarnung aussprechen und die Vorlage des Arztzeugnisses verlangen. Im Sinne von «ohne Arbeit kein Lohn» könnte ein konsequenter Ansatz für den Arbeitgeber sein, die Lohnzahlungen einzustellen.
- Welche formellen und inhaltlichen Anforderungen hat ein Arztzeugnis zu erfĂĽllen?
Ein Arztzeugnis sollte datiert, gestempelt und eigenhändig vom behandelnden oder untersuchenden Arzt unterschrieben sein. Inhaltlich sollte es Informationen enthalten zur Ursache der Arbeitsunfähigkeit (Krankheit oder Unfall), zum Beginn, zur voraussichtlichen Dauer und zum Grad der Arbeitsunfähigkeit (in Prozent) sowie zu Datum und Art der Konsultation (in der Praxis oder telefonisch).
- Kann man einem Arztzeugnis uneingeschränkt vertrauen?
In bestimmten Fällen können erhebliche Zweifel an einem vorgelegten Arztzeugnis bestehen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn das Zeugnis unvollständig, unklar oder schwer lesbar ist, verspätet oder rückwirkend ausgestellt wurde. Wenn die Untersuchung offensichtlich fehlerhaft war, mehrere Arztzeugnisse von verschiedenen Ärzten vorliegen oder das Zeugnis ohne persönliche Untersuchung (z.B. lediglich aufgrund einer telefonischen Auskunft) erstellt wurde. Auch der Zeitpunkt der Krankmeldung, zum Beispiel vor oder nach Wochenenden oder Feiertagen, kann die Glaubwürdigkeit des ärztlichen Zeugnisses in Frage stellen. Bei Unklarheiten kann der Arzt nur sehr eingeschränkt Auskunft geben und muss das Arztgeheimnis wahren. Eine Offenlegung der Diagnose ist nicht zulässig. Mit Zustimmung des Arbeitnehmenden kann jedoch ein detaillierteres Arztzeugnis ausgestellt werden. In einem solchen erweiterten Zeugnis können zusätzliche Informationen zur Arbeitsplatzbezogenheit der Arbeitsunfähigkeit und zur Restarbeitsfähigkeit angegeben werden, einschliesslich einer Arbeitsplatzbeschreibung, der Hauptaufgaben des Arbeitnehmenden sowie Besonderheiten, Anforderungen und Arbeitszeiten des Arbeitsplatzes. Gerne können wir Ihnen bei Bedarf ein Muster zustellen.
- Was kann ich als Arbeitgeber gegen gefälschte Arztzeugnisse unternehmen?
Ein Arztzeugnis gilt im strafrechtlichen Sinn als Urkunde. Somit kann eine gefälschte Bescheinigung strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen und zu einer fristlosen Entlassung führen. In der Praxis lässt sich der Verdacht durch eine Rückfrage beim Arzt klären.
- Was kann ich als Arbeitgeber gegen Gefälligkeitszeugnisse unternehmen?
Auch Gefälligkeitszeugnisse, bei denen eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wird, obwohl der Mitarbeitende arbeitsfähig ist, sind problematisch. Das Ausstellen eines Gefälligkeitszeugnisses kann strafrechtliche Folgen haben und verstösst gegen die Standesordnung der FMH, was disziplinarische Konsequenzen für den Arzt nach sich ziehen kann. Hinweise auf ein unzutreffendes Zeugnis können sich aus dem Verhalten und den Umständen ergeben, beispielsweise durch wiederholte Einreichung von Zeugnissen unterschiedlicher Ärzte oder ein ungewöhnlich spätes Aufsuchen des Arztes. Der Nachweis einer falschen Bescheinigung ist jedoch in der Praxis oft schwierig, da häufig nicht genügend Informationen vorliegen. Als Kontrollmöglichkeit steht dem Arbeitgeber jedoch offen, die Angaben des Mitarbeitenden durch einen Vertrauensarzt überprüfen zu lassen.
- Welchen Beweiswert hat ein Arztzeugnis?
Ein Arztzeugnis stellt kein absolutes Beweismittel nach der Zivilprozessordnung (ZPO) dar, sondern ist eine Parteibehauptung, die der freien Beweiswürdigung durch das Gericht unterliegt. Dennoch hat das Arztzeugnis ein gewisses Gewicht, da es von einer Fachperson ausgestellt wurde. Das Gericht entscheidet jedoch nach freier Beweiswürdigung, ob die Angaben des Arbeitnehmenden und die Schlüssigkeit des Arztzeugnisses glaubwürdig sind. Die Beweiskraft eines Arztzeugnisses kann insbesondere dann angezweifelt werden, wenn das Verhalten des Arbeitnehmenden während der angeblichen Arbeitsunfähigkeit widersprüchlich erscheint oder bestimmte Umstände kurz vor der Arbeitsunfähigkeit Zweifel daran aufkommen lassen.
- Darf ich einen Mitarbeitenden zu einem Vertrauensarzt schicken?
Wenn Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeitenden bestehen, kann der Arbeitgeber eine vertrauensärztliche Untersuchung bei einem von ihm bestimmten Arzt veranlassen. Die Kosten für diese Untersuchung trägt der Arbeitgeber. Das Recht, einen Vertrauensarzt beizuziehen, ergibt sich aus der Treuepflicht des Mitarbeitenden. Um Missverständnisse zu vermeiden, empfiehlt es sich, eine entsprechende Regelung ausdrücklich im Personalreglement festzuhalten. Dabei ist zu beachten, dass der Vertrauensarzt ebenfalls dem Berufsgeheimnis unterliegt und die Diagnose nicht weitergeben darf. Er kann lediglich bestätigen, ob das ausgestellte Arztzeugnis stimmig ist oder nicht. Wenn der Vertrauensarzt das ursprüngliche Arztzeugnis bestätigt, ist es für den Arbeitgeber meist sehr schwierig, die Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeitenden anzuzweifeln. Sollte der Vertrauensarzt jedoch zu einem anderen Ergebnis kommen, kann der Arbeitgeber dieses Untersuchungsergebnis zugrunde legen, den Mitarbeitenden zur Rückkehr an den Arbeitsplatz auffordern oder die Lohnzahlungen einstellen. Dies führt in der Regel zur Klärung der Situation.
- Kann sich der Mitarbeitende der vertrauensärztlichen Untersuchung entziehen?
Ein Mitarbeitender kann eine rechtmäßig angeordnete vertrauensärztliche Untersuchung zwar ablehnen. Der Mitarbeitende muss jedoch die möglichen Konsequenzen seiner Weigerung akzeptieren, wie eine mögliche Entkräftung des vorgelegten Arztzeugnisses, eine mögliche fristlose Kündigung, falls zuvor eine entsprechende Verwarnung ausgesprochen wurde, und eine vorübergehende Einstellung der Lohnzahlung.
FĂĽr weitere Fragen steht den Mitgliedfirmen von Swissmem Marina Rienzo, Ressortleiterin Bereich Arbeitgeberpolitik (m.rienzonoSpam@swissmem.ch), gerne zur VerfĂĽgung.