Gemäss Art. 323a Abs. 1 OR hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, einen Teil des dem Arbeitnehmenden geschuldeten Lohns zurückzubehalten, wenn dies in einer Einzelvereinbarung, in einem Normalarbeitsvertrag oder in einem Gesamtarbeitsvertrag vorgesehen ist oder wenn es als üblich angesehen wird. Letzteres gilt heute jedoch nur im Gastgewerbe und zum Teil bei Handelsreisenden.
Zweck und Erscheinungsformen des Lohnrückbehalts
Der Lohnrückbehalt kann dem Arbeitgeber als mögliches Verrechnungssubstrat und als Sicherheit für Gegenforderungen aus dem Arbeitsverhältnis dienen. Ist der Arbeitnehmer mit dem Rückbehalt nicht einverstanden, weil er etwa die Gegenforderung bestreitet oder den bereits vorhandenen Lohnrückbehalt herausverlangen will, ist er gezwungen, auf dem Gerichtsweg gegen den Arbeitgeber vorzugehen. Letzterem kommt bei einem allfälligen Streitfall vor Gericht mithin die prozessual günstigere Rolle des Beklagten zu. Auf der anderen Seite wird der Arbeitnehmer durch das Vorhandensein eines Haftungssubstrates davon entlastet, bei allfälligen Forderungen des Arbeitgebers grössere Summen bereitstellen oder schmerzhafte Lohnabzüge in Kauf nehmen zu müssen.
Mit dem Lohnrückbehalt kann der Arbeitgeber Schadenersatzforderungen gegen den Arbeitnehmenden aus dem Arbeitsverhältnis verrechnen. Zwischen Forderung und Arbeitsverhältnis muss jedoch zwingend ein direkter Zusammenhang bestehen. Dabei gelten die in Art. 323b Abs. 2 OR vorgesehenen Beschränkungen über das Vorhandensein eines pfändbaren Lohnbestandteils nicht. Der Arbeitgeber kann somit unabhängig von der Zahlungsfähigkeit oder vom Zahlungswillen des Arbeitnehmenden allfällige offene Forderungen durchsetzen.
Weiter sieht Art. 323a Abs. 3 OR vor, dass durch Verabredung im Einzelarbeitsvertrag, Postulierung in einem Normal- oder Gesamtarbeitsvertrag sowie Usanz der Lohnrückbehalt auch als Konventionalstrafe ausgestaltet werden kann. In diesem Fall dient der Lohnrückbehalt dem Arbeitgeber als Sicherheit für die Zahlung der Konventionalstrafe (Oger ZH ZR 1974 Nr. 71). Vorteilhaft für den Arbeitgeber ist in diesem Fall, dass er bis zur Höhe des vorhandenen Lohnrückbehalts lediglich die Vertragsverletzung durch den Arbeitnehmenden, nicht aber dessen Verschulden nachweisen muss.
Höhe des zurückbehaltenen Lohnes
Als Substrat für den Lohnrückbehalt dient der fällige Bruttolohn, inklusive 13. Monatslohn, Provision und Anteil am Geschäftsergebnis. Das Gesetz limitiert in Art. 323a Abs. 2 OR die mögliche Höhe des Lohnrückbehalts: Demnach kann durch Einzelarbeitsvertrag oder Übung pro einzelne Lohnperiode nicht mehr als 1/10 des gesamten fälligen Lohnes zurückbehalten werden und der gesamte sich über mehrere Lohnperioden bildende Lohnrückbehalt darf den Lohn für eine Arbeitswoche nicht übersteigen. Hat beispielsweise ein Arbeitgeber Lohnrückbehalte in der Höhe von insgesamt CHF 45‘000.- vorgenommen und will er diese mit Gegenforderungen verrechnen, so ist dies unzulässig, da im Einzelarbeitsvertrag nur ein Rückbehalt in der Höhe eines Wochenlohnes vorgenommen werden darf (Oger ZH, LA010030 vom 12. Juli 2001).
Einzig durch Normal- oder Gesamtarbeitsvertrag und nicht durch Einzelarbeitsvertrag kann ein höherer Lohnrückbehalt vorgesehen werden.
Übertragung auf die nächste Lohnperiode, Erlöschen und Verjährung eines Lohnrückbehalts
Nicht im Gesetz geregelt ist die Frage, wie lange die Fälligkeit der Lohnforderung hinausgeschoben werden kann. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass vorgenommene Lohnrückbehalte immer wieder auf die nächstfolgenden Lohnperioden übertragen werden dürfen. Dies wird denn auch in der Praxis so gehandhabt.
Weiter erlischt die bestehende Forderung des Arbeitnehmenden auf den Lohnrückbehalt, wenn entweder der Arbeitgeber den Geldbetrag auszahlt oder er diesen bestimmungsgemäss mit einer bestehenden Forderung verrechnet. Wie alle aus dem Arbeitsverhältnis stammenden Forderungen mit Lohncharakter verjährt der Lohnrückbehalt in fünf Jahren. Dabei beginnt die Verjährungsfrist mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses.
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