Gemäss Art. 35a Abs. 1 ArG dürfen schwangere und stillende Frauen nur mit ihrem Einverständnis beschäftigt werden. Ebenfalls können gemäss Abs. 2 der erwähnten Bestimmung stillende Mütter auf blosse Anzeige hin von der Arbeit fernbleiben. Dies muss jedoch dem Arbeitgeber vorgängig mitgeteilt werden. Die stillende Mutter hat es grundsätzlich in der eigenen Hand zu entscheiden, ob sie ihre Arbeitstätigkeit fortführen will oder nicht.
Kein generelles Recht auf Lohnfortzahlung bei der Befreiung von der Pflicht zur Arbeitsleistung
Das im Arbeitsgesetz verankerte Recht auf eine Befreiung von der Pflicht zur Arbeitsleistung beim Stillen ist nicht zu verwechseln mit dem Recht auf eine Lohnfortzahlung. Dieses besteht grundsätzlich nur bei einer unverschuldeten Arbeitsunfähigkeit gemäss Art. 324a OR.
Ist die Mitarbeiterin arbeitstätig, muss ihr gemäss Art. 60 Abs. 2 ArGV1 für das Stillen oder Abpumpen von Milch die erforderliche Zeit zur Verfügung gestellt werden. Dabei wird, je nach Dauer der täglichen Arbeitszeit, eine gewisse Zeit vom Arbeitgeber bezahlt. Die benötigte Zeit, die über die in Art. 60 Abs. 2 ArGV1 festgelegte Dauer hinausgeht, wird ohne anderslautende ausdrücklich Abmachung zwischen Arbeitgeber und der betroffenen Arbeitnehmerin nicht als bezahlte Arbeitszeit angerechnet. Des Weiteren beschränkt sich diese bezahlte Stillzeit auf das erste Lebensjahr des Kindes.
Allgemeiner Anspruch auf Freistellung fĂĽr das Stillen auch ĂĽber die 16. Woche hinaus bzw. aus einem anderen Grund?
Das Arbeitsgesetz regelt nicht ausdrücklich die Möglichkeit, dass stillende Mütter nach der sechzehnten Woche nach der Niederkunft des Kindes ein generelles Recht hätten, sich von der Arbeitspflicht gänzlich dispensieren zu lassen. Ebenfalls ist darin nicht geregelt, ob nach der 16. Woche auch andere Gründe, wie zum Beispiel die Kinderbetreuung, zur allgemeinen Befreiung von der Arbeitsleistung berechtigen. Beide Rechtsfragen wurden letzten Jahr vom Bundesgericht erörtert und entschieden (vgl. nachfolgend).
Klarstellung des Bundesgerichtes in BGer 4D_49/2022
Im Entscheid 4D_49/2022 vom 7. Juni 2023 befasste sich das Bundesgericht mit dem Fall einer Arbeitnehmerin, die nach Beendigung des Mutterschaftsurlaubes nicht zu dem von der Arbeitgeberin vorgeschriebenen Datum wieder zur Arbeit zurückkehrte. Die Arbeitnehmerin wollte nämlich Ferien und Überstunden abbauen und erst zu einem späteren Zeitpunkt wieder die Arbeit aufnehmen. Nach einer letzten Androhung, die Arbeit an dem von der Arbeitgeberin festgelegten Datum wieder aufzunehmen, wurde der Arbeitnehmerin fristlos gekündigt. Die gekündigte Arbeitnehmerin hätte eine wegen einer Operation ausgefallene Mitarbeiterin dringend ersetzen müssen.
Das Bundesgericht setzte sich in der Folge mit zwei Fragen auseinander: Auf der einen Seite, ob stillende Mütter nach der sechzehnten Woche nach der Niederkunft des Kindes ein generelles Recht hätten, sich von der Arbeit dispensieren zu lassen und ob ein solcher Dispens von der Arbeit zwingend mit dem Stillen zusammenhängen muss oder, ob auch andere Gründe, wie zum Beispiel die Kinderbetreuung, hierzu berechtigen. Auf der anderen Seite fragte sich das Bundesgericht, ob die von der Arbeitgeberin ausgesprochenen fristlose Kündigung gerechtfertigt war.
Bei der Beantwortung der ersten Frage stützte sich das Bundesgericht wie bereits die Vorinstanz auf den Kommentar des Seco zu Art. 35a ArG. Demnach stellte das Bundesgericht fest, dass die Arbeitnehmerin gegenüber der Arbeitgeberin nie geltend gemacht hatte, Zeit fürs Stillen zu benötigen. Vielmehr wurden Gründe im Zusammenhang mit der Kinderbetreuung in den Vordergrund gestellt. Das Bundesgericht erwog, dass der Schutz gemäss Art. 35a Abs. 2 ArG auf stillende Mütter beschränkt ist und nicht auf weitere Tatbestände ausgedehnt werden kann (Erw. 3.3.1).
Im Zusammenhang mit der ausgesprochenen fristlosen Kündigung führte das Bundesgericht weiter aus, dass die Haltung der Arbeitnehmerin gegenüber der Arbeitgeberin nicht vereinbar mit einer ordnungsmässigen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses war. Eine Arbeitnehmerin hat nicht das Recht, sich über Anordnungen und Interessen der Arbeitgeberin hinwegzusetzen oder ihr die eigenen Entscheidungen einseitig aufzuzwingen. Des Weiteren hat die Arbeitnehmerin zu keinem Zeitpunkt versucht, mit der Arbeitgeberin eine einvernehmliche Lösung zu finden bzw. hat auf zahlreiche Mahnungen nie reagiert (Erw. 4.2).
Das Gericht hat somit eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches von Art. 35a ArG verneint und die ausgesprochene fristlose Kündigung wegen der Vernachlässigung der arbeitsvertraglichen Pflichten sowie des Desinteresses der Arbeitnehmerin an den organisatorischen Schwierigkeiten der Arbeitgeberin geschützt.
Swissmem-Mitgliedern gibt Marcel Marioni, Ressortleiter Bereich Arbeitgeberpolitik (044 384 42 09 oder m.marioninoSpam@swissmem.ch) gerne Auskunft.
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