Gemäss Art. 335b Abs. 1 des Obligationenrechts (OR) kann ein auf unbestimmte Dauer eingegangenes Arbeitsverhältnis während der Probezeit jederzeit mit einer Kündigungsfrist von sieben Tagen gekündigt werden. Beide Vertragsparteien haben somit die Möglichkeit, während dieser Zeit den Arbeitsvertrag unter erleichterten Bedingungen aufzulösen. Dabei muss die Gegenpartei die Kündigung während der Probezeit erhalten; das Ende dieser verkürzten Kündigungsfrist kann hingegen auch nach Ablauf der Probezeit eintreten. Zu beachten ist, dass – soweit nicht schriftlich durch Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag etwas anderes abgemacht wurde – der erste Monat des Anstellungsverhältnisses als Probezeit gilt und dass Art. 335b Abs. 2 OR die Länge der Probezeit auf drei Monaten beschränkt.
Verlängerung der Probezeit wegen Krankheit
Art. 335b Abs. 3 OR lässt eine Verlängerung der Probezeit wegen Krankheit, Unfall und Erfüllung einer nicht freiwillig übernommenen gesetzlichen Pflicht (vor allem Militär-, Zivil- oder Schutzdienst) zu. In diesen Fällen verlängert sich die Probezeit um die Anzahl Arbeitstage, die wegen der Verhinderung weggefallen sind. Somit gehören z.B. Ferien, unbezahlter Urlaub, Kurzabsenzen, Schwangerschaft und Mutterschaftsurlaub nicht dazu (BGE 136 III 564).
Die neue Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Verlängerung der Probezeit
Im Urteil 8C_317 / 2021 vom 8. März 2022 befasste sich das Bundesgericht mit einer vom Arbeitgeber innerhalb der Probezeit am 22. Juni 2020 ausgesprochenen ordentlichen Kündigung. Dabei war strittig, ob die ordentliche Kündigung noch innerhalb der Probezeit ausgesprochen worden war und demzufolge eine Kündigungsfrist von sieben Tagen galt. Im konkreten Fall hätte die Probezeit am 16. Juni 2020 geendet. Jedoch war der Arbeitnehmende vom 15. bis 19. Juni 2020 arbeitsunfähig. Es stellte sich daher die Frage, ob die beiden versäumten Arbeitstage der Probezeit bereits am 20. und 21. Juni 2020 (Samstag und Sonntag) oder an den nächsten Arbeitstagen nachgeholt werden mussten.
Das Hohe Gericht hielt bezüglich der Frage der Verlängerung der Probezeit fest, dass die während der Probezeit versäumten Tage «effektiv abzuarbeiten» gewesen wären. Dazu sei der Arbeitnehmende erst am 22. und am 23. Juni in der Lage gewesen (Arbeitsunfähigkeit bis am 19. Juni und arbeitsfreies Wochenende am 20./21. Juni). Sinn und Zweck der Probezeit sei es nämlich, dass die Parteien einander kennenlernen und ein Vertrauensverhältnis aufbauen bzw. abschätzen können, ob sie die gegenseitigen Erwartungen erfüllen (BGE 144 III 152 E. 4.2 und BGE 136 III 562). Weiter betonten die Lausanner Richter, dass soweit die Probezeit effektiv infolge Krankheit, Unfall oder Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht verlängert werden müsse, dies auf tatsächliche Arbeitstage umgelegt werden und real «abgearbeitet» werden müsse.
Das Bundesgericht kam somit zum Schluss, dass im konkreten Fall die Probezeit erst am 23. Juni 2020 abgelaufen und die ordentliche Kündigung noch innerhalb der Probezeit erfolgt war.
Präzisierung des Bundesgerichtes zur allfälligen Missbräuchlichkeit einer Kündigung kurz nach Beendigung der Probezeit
Nachdem das Bundesgericht in BGE 134 III 108 den sachlichen Kündigungsschutz von Art. 336 OR grundsätzlich auch während der Probezeit bejaht hat (es muss jedoch im Einzelfall abgeklärt werden, ob mit der ordentlichen Kündigung der durch die Probezeit verfolgte Zweck wirklich missbräuchlich verletzt wird), stellt sich die Frage, ob eine ordentliche Kündigung missbräuchlich sein kann, wenn sie kurz nach Beendigung der Probezeit vom Arbeitgeber ausgesprochen wird.
Das Bundesgericht hat sich vor einigen Monaten im Urteil 4A_59 / 2022 vom 18. März 2022 mit einer kurz nach Beendigung der Probezeit durch den Arbeitgeber ausgesprochenen ordentlichen Kündigung auseinandergesetzt. Dabei machte die Arbeitnehmende geltend, dass sie nach Ablauf der Probezeit trotz noch nicht ausreichender Leistung auf eine Fortführung des Arbeitsverhältnis habe vertrauen können und dass die Arbeitgeberin hinreichende Vorkehrungen hätte treffen müssen, um der Arbeitnehmerin die Möglichkeit der Weiterbildung und der Behebung der Leistungsdefizite (zum Beispiel regelmässige Qualifikationsgespräche und die daraus abgeleiteten Ziel- und Entwicklungsvereinbarung zur Behebung der vorhandenen Mängel) zu ermöglichen.
Nach Auffassung des Lausanner Gerichts erfolgte die oben erwähnte ordentliche Kündigung aufgrund einer ungenügenden Arbeitsleistung der Arbeitnehmenden. Die von ihr vor Bundesgericht geltend gemachten Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis seien demnach für die Kündigung nicht ausschlaggebend.
In Anbetracht der oben dargelegten bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist somit eine kurz nach Beendigung der Probezeit durch den Arbeitgeber ausgesprochene ordentliche Kündigung nicht von vorneherein missbräuchlich, sondern kann aus objektiven Gründen sehr wohl ausgesprochen werden. Für die Beurteilung einer allfälligen Missbräuchlichkeit im Sinne von Art. 336 OR gelten dieselben Kriterien wie bei einer ordentlichen Kündigung nach einem langjährigen Arbeitsverhältnis.
Swissmem-Mitgliedern gibt Marcel Marioni, Ressortleiter Bereich Arbeitgeberpolitik (044 384 42 09 oder m.marioninoSpam@swissmem.ch) gerne Auskunft.
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